Batmans Schoenheit
Qual. – Können Sie mir sagen, was das für Leser sind, die irgendeinen Nutzen daraus beziehen, die detaillierte Beschreibung einer verstümmelten Leiche zu konsumieren, und zwar in der Regel in einer völlig unpoetischen Sprache?«
»Aber so ist das Leben manchmal: blutig und grausam.«
»Weil das Leben blutig und grausam sein kann«, meinte der Buchhändler, »muß man an diesen Umstand nicht vierhundert Seiten verschwenden, wenn man die gleichen vierhundert Seiten auch etwas anderem widmen könnte. – Nicht, daß Sie jetzt glauben, ich würde für idyllische Erzählungen und Blumenästhetik schwärmen, nur weil ich ein Krüppel bin. Fast jeder große Roman dreht sich um das Schicksal, den Tod, das Scheitern. Und nicht wenige beschreiben das Töten. Der Kriminalroman aber, er beschreibt ja nicht den Tod und das Töten, sondern huldigt ihnen. Er hat seine Freude daran, wenn es schlimm zugeht. Und dann kommen die Verlage und werben auch noch damit, wie ultrahart oder hart an der Grenze und kaum auszuhalten ein bestimmter Krimi ist. – Stellen Sie sich mal vor, ein Wurstverkäufer würde damit prahlen, daß dem Kunden von der angebotenen Ware übel wird.«
Der kleine Mann machte eine kleine Pause und legte dabei seinen Finger auf den sechsteiligen Stapel, wie um sich ein wenig anzulehnen. Dann fuhr er fort: »Der Krimi soll härter und grausamer sein als eine an sich schwer erträgliche Realität. Andererseits aber besitzen die wenigsten dieser Autoren die Konsequenz, die eigene Bösartigkeit durchzuhalten. Zum Ende hin überlegen sie es sich anders, werden vollkommen irreal und fantastisch, nur um irgendein Happy End zu ermöglichen. Sie sind wie die Gauner, die im Angesicht des Todes in Demut verfallen und alles bereuen. Lächerlich!«
»Na ja«, zeigte sich Red seinerseits ungerührt und wiederholte seine Annahme von der Existenz auch guter Krimis.
Der kleine Mann konterte: »Es gibt wahrscheinlich auch nette Rauschgiftsüchtige, ich will trotzdem nicht, daß einer von denen das Flugzeug steuert, in dem ich gerade sitze.«
»Das ist für einen Buchhändler eine ziemlich einseitige Position.«
»Sehen Sie sich um, sieht es hier aus wie bei einer Buchhandelskette?«
»Stimmt, das tut es wirklich nicht.«
»Also, Herr Red«, nahm der Krimiverächter den eigentlichen Faden wieder auf, »hier wären die bestellten sechs Bücher. Die gibt es zwar auch in einer Neuauflage, aber Sie wollten ja unbedingt diese alte Version.«
»Wollte ich also«, sagte Red und verdrehte die Augen. Sodann erkundigte er sich nach den angesprochenen Briefmarken.
Der Mann mit dem Skelett eines Vögelchens schmunzelte. Er erklärte, es höchst originell gefunden zu haben, eine solche Bestellung aus Hamburg zu erhalten: sechs gleiche Bücher und sechs gleiche Briefmarken.
»Bei Ihnen sieht es aber nicht wie in einem Briefmarkengeschäft aus«, stellte Red fest.
»Ist normalerweise auch nicht mein Zweig«, erklärte der Buchhändler, »aber Sie wissen, wo wir hier sind, nämlich auf einer Insel namens Bouvet, oder Bouvetøya genannt. Und zu einer Insel gehören nicht zuletzt auch Briefmarken.«
»Hören Sie, ein bißchen was weiß ich auch. Nämlich, daß es auf der Bouvetinsel ganz sicher kein Postamt gibt oder gab, vielleicht eine automatische Wetterstation, aber kein Postamt und keine Briefmarken.«
»Briefmarken sind flexibler als Menschen«, äußerte der Vogelmann und zog ein ledernes Mäppchen unter einem Stapel hervor, öffnete es und offerierte eine Gruppe identischer Briefmarken, drei Reihen zu je zwei Stück. Es waren alte Exemplare mit einer ovalen, ein Posthorn zitierenden Dekoration und einer aus dem Zentrum hervorstechenden großen Fünf. Darüber stand »NORGE«, zudem präsentierte eine unregelmäßige schwarze Stempelung den Schriftzug »BOUVET OYA«. Daß die Briefmarken rot waren, versteht sich, beziehungsweise waren sie nicht wirklich rot, sondern – und damit noch passender – rosarot.
Der Buchhändler erzählte, wie im Jahre 1934 ein englisches Kriegsschiff das Gewässer um die Bouvetinsel erreicht habe, zu welchen dubiosen Zwecken auch immer. Eines sei freilich bis heute bekannt, daß nämlich der Kapitän an Bord seines Schiffes, sobald sich dieses innerhalb des norwegischen Territoriums befand, ein provisorisches Postamt habe einrichten lassen, woraufhin ein Teil der vorhandenen norwegischen Briefmarken mit einem Stempel versehen wurde, einem Stempel, dessen Holprigkeit eine geschnitzte Kartoffel
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