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Batmans Schoenheit

Batmans Schoenheit

Titel: Batmans Schoenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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angebliche Unfähigkeit der Polizei dem Umstand zu danken, daß auch die Leute von der Zeitung wenig Konkretes zu bieten hatten. Die ganze Sache blieb in höchstem Maße dubios. Beinahe klang ein Zorn darüber an, daß der Mörder zwar seine Taten ausgesprochen inszenatorisch anlegte, ohne sie aber mit greifbaren Hinweisen auszustatten. Ja, der Vorwurf an den Mörder erinnerte an den Vorwurf gegen die moderne Kunst: unverständlich zu sein, elitär, verschlüsselt, hermetisch, assoziativ. Nichts gegen Rätsel, so lange sie im Zuge eines üblichen Rätselratens aufzulösen waren. Hier jedoch …
    Immerhin sprach auch die Zeitung von einem »Fall 3«, vermutete also – man muß das so sagen – eine auf fünf Fälle angesetzte Serie. Der Umstand, daß die bisherigen Opfer stets von fünf Schüssen getroffen worden waren und der Name der Einsatzgruppe unter Oberstleutnant Straka selbige Zahl lateinisch einhüllte, hatte zu dem Schluß geführt, es könnten am Ende fünf tote Schauspieler sein, die man würde beklagen müssen. Auch hatte sich allgemein der Verdacht ergeben, daß die Qualität der getöteten Schauspieler sich von Mal zu Mal steigere, wenn schon die Qualität der Morde gleich blieb. Denn Mia Lovis hatte trotz ihres jugendlichen Alters weit vor den Herren Winter und Brüggen rangiert, sie war eine große, wenn nicht die größte Hoffnung des deutschsprachigen Theaters gewesen. Kein Wunder, daß nun zahlreiche Spekulationen kursierten, welcher Schauspieler es »verdiene«, als nächster ermordet zu werden. Nicht, daß man es so sagte, natürlich nicht, sondern … – Klar, Theaterkunst war wie alle Kunst eine Geschmacksfrage. Zudem war es ja bloß eine Theorie, aber eine, die nun mit beträchtlicher Intensität eine öffentliche wie private Diskussion nach sich zog. Überhaupt war das Theater, seine Bedeutung, vielleicht auch seine Überschätzung, in aller Munde. Die Menschen hatten wieder eine Meinung zur Bühnenkunst. Der Tod dieser Schauspieler galt manchen als ein Symbol für die Krise des Theaters, wenn nicht für die Krise der Welt. Niemand bejahte die Morde, versteht sich, doch als Bild gesehen, empfanden nicht wenige es als durchaus passend. Primär freilich regierte die Lust an der Trauer.
    Red betrachtete noch eine Weile die Abbildungen der drei getöteten Schauspieler im Zeitungsinneren, dann legte er das Blatt auf den Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Er dachte an den Tag zurück, als er das erste Mal hier gewesen war und die sechs Bücher samt der sechs Briefmarken in Empfang genommen hatte. Danach war er zurück zum Hotel gefahren, hatte sich ins Bett gelegt, den Nachmittag verschlafen und war am frühen Abend auf die Straße getreten, um eine ganze Weile hilflos vor dem Kaiserin Elisabeth herumzustehen.
    Wenn man nicht weiß, was man tun soll, bleibt noch immer die Routine, auch wenn sie gerade erst entstanden sein mag. Red hatte sich entschlossen, das phil aufzusuchen, weil er den Namen kannte, die Straße, den fabulösen Kaffee, dieses bestimmte Licht (Licht aus den Fünfzigerjahren, kam ihm vor), ja sogar einen der Stammgäste kannte er. Und auf eine junge, frischverliebte Weise fühlte er sich ebenfalls bereits als Stammgast, als er das Lokal betrat, sich in die Nähe der Bar setzte und von einem Mann an der Kaffeemaschine mit einem Nicken begrüßt wurde, welches man ebenfalls, wenn man wollte, als ein vertrautes interpretieren konnte. Das zahlreiche Publikum setzte sich aus Leuten von jenem Typus zusammen, deren Alter nur schwer einschätzen ist, weil deren stets auf das Aktuelle konzentrierte Lebensart den Eindruck schafft, sie wären weniger Teil einer Geschichte als eines Designs. Eines Designs, das auch ältere Formen zitiert, aber eben auf eine heutige Weise, derart, daß man nicht sagen kann, ob der Typ da drüben jetzt ein Achtzehnjähriger mit dem gereiften Musikgeschmack eines Dreißigjährigen ist, oder ein Dreißigjähriger ohne Bierbauch und Doppelkinn, aber mit dem einnehmenden Grinsen eines lebenslustigen Erstsemesters.
    Nun, Red war vierzig, und das sah man ihm auch an. Sein eigenes erstes Semester war ein Knochen tief in der Erde seiner Biographie. Andererseits war das phil keineswegs ein Kindergarten und Reds stammgastartiges Auftreten passender und auch willkommener als dies später im Favoritener Fanclub des FC Liverpool der Fall sein würde.
    So verbrachte er also mit Kaffee und Wein und einer Musik, die er nicht kannte, die aber auch nicht störte, den

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