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Batmans Schoenheit

Batmans Schoenheit

Titel: Batmans Schoenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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außer natürlich die Fetten. Aber dazwischen gab’s nicht viel.
    Es dauerte somit ziemlich lange, bis Cheng und das Mädchen wieder aus dem Laden kamen. Die Kleine machte ein saures Gesicht und hatte ihre Arme so vor der Brust verschränkt, als wiege sie Rosemaries Baby. Den Karton mit den neuen Lederreitstiefeln trug Cheng, denn auch dafür genügt ein Arm vollkommen. So hatte jeder seine Rolle und seine Funktion, weil man schließlich, wenn man gerade ein Baby wiegt, nicht auch noch einen ziemlich großen Karton herumzuschleppen vermag.
    Die beiden fuhren zurück ins Stadtzentrum. Red blieb ihnen auf den Fersen, mal dicht, mal einen größeren Abstand wählend. Er hätte sich schon äußerst ungeschickt anstellen müssen, um die beiden zu verlieren. – So sehr ihm anfangs diese Verfolgung ein Vergnügen bereitet hatte, wünschte er sich jetzt, der Mann und das Mädchen würden ihm aus dem Blick geraten. Um solcherart die eigene Freiheit zu behaupten. Aber er war nun mal nicht frei. Red spürte die magnetische Wirkung, die ihn an diese zwei Personen koppelte. Die gleiche magnetische Wirkung, die Dinge miteinander verband, die einfach rot waren.
     

Zehntes Bild:
Die Wunder der Physik
    Cheng brachte Lena zum Geigenunterricht. Er selbst hielt wenig bis gar nichts von dieser Verpflichtung zum Musizieren. Er empfand die ganze Musik als weit überschätzt, jedenfalls als die niedrigste und primitivste Form unter den Künsten. Primitiver selbst noch als das Theater und die Schauspielerei. Die Musik schien ihm in erster Linie geeignet, den Menschen abzustumpfen, ihn einzulullen oder umgekehrt in eine Hysterie zu treiben, vor allem aber diente die Musik einer Sache: Sie verdrängte die Stille. Denn mit der Stille tut sich der Mensch unheimlich schwer. So sehr er zwar ständig davon spricht, wie schön es ist, auch mal Ruhe zu haben, meint er damit aber nicht die Stille, vor allem nicht das Fehlen von Geräuschen und Tönen und Klängen. Er meint mit Ruhe eigentlich nur, daß die anderen Frieden geben, nicht er selbst.
    Auch mit zwei Händen wäre Cheng nicht auf die Idee gekommen, Klavier spielen zu wollen. Obwohl er es konnte, da seine Eltern die Musik geliebt hatten, vor allem den Walzer. Allein darum waren sie ja von China nach Wien gezogen, um in eine Welt einzutauchen, die so vollkommen vom Rhythmus dieses Tanzes bestimmt wird. Wo jeder, selbst noch der Unförmigste – und es darf wohl gesagt sein, daß in Wien sehr viel unförmigere Menschen leben als irgendwo in China – im Walzerschritt durch das Leben wandelt, in einem Zustand leichter bis schwerer Berauschung. Was mitunter im Ausland zu dem Mißverständnis eines im latenten Alkoholismus befindlichen Volksganzen führt. In Wirklichkeit aber ist dies eher einer genetisch verankerten Drehbewegung zu verdanken, die auch Leuten, die sich ungern oder gar nicht bewegen, ein kreiselartiges Moment verleiht. Der Alkohol besitzt diesbezüglich nur die Funktion eines Treibstoffes, freilich eines paradoxen, denn umso inaktiver die Maschine, umso größer sein Bedarf an Sprit.
    Jedenfalls war Cheng, der ansonsten recht ungezwungen und mit viel schuldenfreier Liebe versorgt aufgewachsen war, dazu angehalten worden, das Klavierspiel zu erlernen. Er hatte seinen Eltern die Freude gemacht, weil er früh begriffen hatte, daß auch Kinder, selbst die behüteten, zu einer Art von »Kinderarbeit« verpflichtet sind. Daß Dinge wie Schule und Sportunterricht und Fremdsprachen sowie das Spielen von Instrumenten und selbst noch das Schifahren im Winter dem entsprechen, was früher oder anderswo das Knüpfen von Teppichen, das Arbeiten in der Landwirtschaft, im Bergbau, in Fabriken, in den Häusern der Reichen gewesen war oder ist. Man geht also ganz sicher nicht in die Schule, um dort etwas zu lernen – das Lernen ergibt sich erst nach der Schulzeit –, sondern um erstens einen Teil seiner Zeit nicht zu Hause zu verbringen und zweitens das Bild eines arbeitenden Kindes in einer modifizierten, als human geltenden Form zu erfüllen. Wenn im Einzelfall trotzdem so etwas wie Freude am Unterricht aufkommt, ist das eben vergleichbar dem Spaß in und an der Arbeit, was ja passieren kann, vor allem, wenn man es mit einer netten Lehrkraft beziehungsweise einem netten Chef zu tun hat. Aber wie gesagt, es bleibt Kinderarbeit. Und dazu gehört ganz sicher auch das Erlernen des Klavierspiels. Weshalb Cheng, der nicht ohne Talent, aber völlig ohne Leidenschaft geblieben war, im Zuge seiner

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