Batmans Schoenheit
ja eines schreiben können. Und sonst noch was. Wofür hingegen die Zeit und die Möglichkeit leider fehlte, das war, Lena mit einem raschen Stoß aus der Gefahrensituation zu befördern. Denn Cheng stand in einem ungünstigen Winkel zu Lena. Es war sein fehlender linker Arm, der in ihre Richtung wies. Wäre dieser Arm vorhanden gewesen, wäre es sich vielleicht ausgegangen. Nicht aber mit seiner Rechten. Dazu hätte er eine Drehung vollziehen müssen, die zwar nur wenig, aber in diesem Fall immer noch viel zu viel Zeit beansprucht hätte.
Das alles lag mit der allergrößten Klarheit und Bestimmtheit und auch Plötzlichkeit in Chengs Kopf und Denken, ähnlich der schlagartigen Beherrschung jener exotischen Sprache, mit welcher der andere Mann seine Warnung ausgerufen hatte.
Und eben weil Cheng begriff, daß er Lena nicht rechtzeitig würde erreichen können, entließ auch er einen Schrei. Gleichwohl ahnend – nein wissend –, daß dies zwar zu einer Aufmerksamkeit Lenas führen würde, aber nicht dazu, ihre Position im entscheidenden Bruchteil der Sekunde lebensrettend zu ändern.
Jetzt einmal abgesehen davon, daß niemand eine Freude daran hat zuzusehen, wie das ihm anvertraute Kind vom Stück einer Balustrade erschlagen wird, muß gesagt werden, daß Cheng dieses Mädchen, dieses Kind einer Frau, deren Namen er angenommen hatte, inniglich liebte, derart, wie noch nie etwas in seinem Leben. Die Liebe zu erwachsenen Menschen, vor allem natürlich die zu Ginette Rubinstein, war etwas anderes. Sie war bei aller Intensität und Unbedingtheit nie selbstlos, es war keine pure Liebe, sondern gewissermaßen eine durch den Liebenden verunreinigte Liebe. Selbstlos konnte man nur Kinder oder Tiere lieben, vielleicht noch Gott oder die Literatur oder kleine Plastikfiguren. Aber eben nicht eine Frau oder einen Mann, wie schön und gut und edel sie oder er auch sein mochten. Während Kinder und Meerschweinchen natürlich nicht gut und schön und edel sein müssen, nicht einmal die Literatur, um geliebt zu werden. Lenas gewisse Überheblichkeit, das Launische, dieses Herunterschauen auf die Welt und auf die Menschen, so, als würde sie zu jeder Zeit auf ihrem Gaul sitzen, der natürlich kein Gaul war, sondern das »beste und klügste Pferd, das es gibt«, ihr von der Raffinesse moderner Hexen bestimmtes Wesen, das alles änderte nichts daran, daß Cheng dieses Kind liebte. Freilich bewunderte er daneben auch Lenas Klugheit, vor allem ihre fabelhafte Courage. Wenn Lena ein Unrecht zu bemerken meinte, dann schritt sie augenblicklich dagegen ein, ohne Rücksicht auf irgendwelche Vor- oder Nachteile, das Lob so wenig wie den Streit suchend, sondern allein der Gerechtigkeit dienend. Selbst wenn diese Gerechtigkeit bloß darin bestand, zu verhindern, daß jemand auf eine Schnecke trat oder eine Mücke an der Wand zerklatschte. Lena, die Prinzessin auf der Erbse, die wegen einem Paar Reitstiefel ein nervtötendes Theater machte, besaß ein tiefes Mitgefühl für jede Art von Kreatur, wobei sie allerdings einige Menschen und wohl auch Salzkrebschen nicht zu den Kreaturen zu zählen schien. Ihre Courage kannte aber ansonsten keine Einschränkung. Lena schien frei von Angst zu sein, wobei sie durchaus ein Gefahrenpotential einzuschätzen verstand. Sie schätzte und dann handelte sie. Auf diese Weise hatte sie Cheng vor Jahren einmal das Leben gerettet, damals, als Cheng und Ginette Rubinstein sich eben erst kennengelernt hatten. Im Zuge eines verwirrenden Kriminalfalls, bei dem es um ein Fläschchen 4711 gegangen war, hatte ein Mann namens Gregor Pavor versucht, Cheng umzubringen. Lena war zufällig in die Situation geraten und hatte die Möglichkeit einer offen daliegenden Handfeuerwaffe genutzt, Pavor einen Strich durch die Rechnung zu machen. Wozu es schlußendlich nötig gewesen war, den ganzen Pavor auszustreichen. Anders wäre es einfach nicht gegangen. Sie selbst, damals elfjährig, hatte mit diesem Erwachsenen nicht vernünftig reden können. Als er versuchte hatte, sie zu überwältigen, hatte sie geschossen. Ob dabei die Genauigkeit, mit der sie Pavor getroffen hatte, tatsächlich ihrer Zielsicherheit zu verdanken gewesen war – wie eins der Bücher der Cheng-Reihe suggerierte –, sei dahingestellt. Entscheidend war, daß Lena zur Waffe gegriffen und sie eingesetzt hatte, um das Leben eines Mannes zu retten, welcher soeben daran gegangen war, der Mann ihrer Mutter und ihr eigener Stiefvater zu werden. Die Welt der
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