Batmans Schoenheit
Unter diesem Buch jedenfalls verbarg sich ein wenig schamhaft jenes Handy, das Lena ihrem Stiefvater letzte Weihnachten geschenkt hatte. Ausgestattet mit allerlei überflüssigem Zeug, ausgestattet aber auch mit einem schubertschen Klingelton, einer Sequenz aus dem Streichquartett Der Tod und das Mädchen , eine Anspielung, die Cheng nicht verstand, ja, die er eigentlich auch gar nicht verstehen wollte.
Obgleich Cheng also wie üblich das Buch über dem Handy gelagert hatte und obgleich er noch immer die Weiten des Ozeans durchschwamm – wozu? um an irgendeinen Laichplatz zu gelangen? –, drang das sich wiederholende Schubertmotiv aus dem zweiten Satz, Vorüber! Ach vorüber! , in den einen, dann den anderen Chengschen Gehörgang. – Kann das überhaupt sein?
Nun, es muß erwähnt werden, daß im Zuge jener Vorfälle, derentwegen Cheng seinen Arm eingebüßt hatte, auch seine Gehörkraft stark in Mitleidenschaft gezogen worden war, sich jedoch im Laufe der Jahre eine mysteriöse Umkehr vollzogen hatte. Zwar war ihm kein neuer Arm gewachsen (von den vielen Haaren abgesehen), aber er konnte von mal zu mal besser hören, nicht nur den vielzitierten »Schas im Walde«, sondern auch die Stimmen der Menschen hinter dickem Gemäuer. Er vernahm das Flüstern der Liebenden und die Einsagungen der Kinder. Er hörte Tiere, die er gar nicht sah, ja mitunter kam ihm vor, als registriere er die Geräusche, die entstanden, wenn Krebs Batman mitternachts an seiner kleinen, beinahe schwerelosen Burg werkelte.
Ein Klingelton war so gesehen, selbst vom Ozean aus, natürlich ohrenbetäubend zu nennen.
Mußte man aber deshalb gleich aus dem Wasser springen? Eigentlich nicht. Andererseits besaßen nur wenige Menschen diese Handynummer, und diese wenigen waren auch die wichtigen.
Nicht, daß Cheng, nachdem er den Beckenrand erreicht hatte, einem Delphin gleich hochschoß, aber es war doch bemerkenswert, mit welcher Leichtigkeit dieser einarmige Mensch aus dem Wasser herausrutschte, die vorschwappende kleine Welle wie eine Schanze benutzend, den rechten Arm stockartig einsetzend, die Knie vorgeschoben … und mit einem Mal aufrecht an Land stand. Und zwar so rasch, daß niemand es richtig hatte bemerken können. Fast alle vermuteten, daß Cheng stets über die Leiter nach draußen gelangte und sie bloß gerade nicht hingesehen hatten.
Cheng ging zu seiner Bank, schob den Beckett zur Seite und griff nach dem Handy. Die Nummer auf dem Display war ihm unbekannt. Dennoch gab er das Gespräch frei.
Eine Stimme meldete sich: »Hier spricht Red.«
»Wer bitte?« fragte Cheng, der nicht alles so gut hörte wie flüsternde Kinder und hausbauende Salzkrebse.
»Red«, wiederholte Red. Offensichtlich widerstrebte es ihm, zu erklären, der Lebensretter von Chengs fünfzehnjähriger Tochter zu sein.
Doch ohnehin hatte Cheng nun begriffen, mit wem er da redete. Dementsprechend erfreut zeigte er sich. »Was kann ich denn für Sie tun, lieber Herr Red?«
»Ich möchte Sie gerne sehen.«
»Aber selbstverständlich.«
»Hätten Sie gleich Zeit?«
»Das habe ich«, sagte Cheng, der Mann ohne Termine. »Wo wollen wir uns treffen?«
»Ich bin hier in Döbling«, erklärte Red. »Um die Ecke ist ein wirklich schöner Garten, wo man seine Ruhe hat. Aber ich kann natürlich hinkommen, wo Sie mögen.«
»Nein, Döbling ist okay«, sagte Cheng, wie man sagt: Bis die Sonne explodiert, sind wir alle längst tot. »Und wo genau in Döbling?«
»Im Setagaya-Park.«
»Wie bitte?«
»Setagaya. Ein Japanischer Garten. Gleich bei der … es heißt: Hohe Warte.«
Wie jeder Wiener kannte Cheng die Hohe Warte wenigstens vom Namen her, weil einerseits dort eine Wetterstation stand, die quasi das österreichische Wetter bestimmte (wenn man sich das Wetter als Erfüllungsgehilfen der einschlägigen Prognosen vorstellte), und sich außerdem die Heimstätte des Fußballclubs Vienna befand, auch First Vienna, ein aus dem Hügel herausgewachsenes oder – je nach Sichtweise – in den Hügel hineingebautes Sportstadion. Von einem Japanischen Garten hingegen hatte Cheng noch nie etwas gehört. Zudem keimte ein gewisser Ärger ob des Verdachts auf, daß dieser Red vielleicht meinte, er, Cheng, sei Japaner, was er noch weniger mochte, als für den Chinesen gehalten zu werden, der er wenigstens in Ansätzen auch war.
(Was nun allerdings gesagt sein muß, obgleich Markus Cheng es lieber unerwähnt gelassen hätte, ist der Umstand, daß er nicht ganz so lupenrein
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