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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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geben müsste, schlief er ein. Manchmal rief Jadzia Dominika herbei und
zeigte ihr mit Grimassen und verdrehten Augen, wie komisch dieser Kerl aussah,
wenn er sich besoffen hatte und mit offener Klappe schlief. Guck mal, Kind -
sie berührte Stefans Nase mit den Fingern, und er gab nur einen röchelnden
feuchten Laut von sich, wie ein geschlachtetes Huhn. Was ist, Dziuneczka,
murmelte er, ohne zu sich zu kommen, und schnarchte kurz darauf wieder genauso
laut, während seine Frau und Tochter auf Zehenspitzen den Rückzug antraten und
sich vor Lachen bogen.
    Stefan fühlte
sich völlig hilflos angesichts der heranwachsenden Dominika. Seit sie dreizehn
war, sprach er kaum noch mit ihr. Wie war's in der Schule? fragte er, und seine
Tochter antwortete: Gut. Wenn sie schlechte Laune hatte, sagte sie gar nichts
und schloss sich in ihrem Zimmer ein. Ein paar Mal versuchte Stefan, in seinen
erzieherischen Bemühungen weiterzugehen, dann sah Dominika ihn mit einem
unergründlichen Gesichtsausdruck an, zuckte die knochigen Schultern und reichte
ihrem Vater die in Plastikumschläge gehüllten Hefte. Mit ernster Miene schaute
Stefan das Polnisch-, Biologie- und Mathematikheft durch, und da er keinen
konkreten Anhaltspunkt für väterliche Sorge um die Erziehung der Tochter finden
konnte, fragte er: Wieso hast du das hier so unterstrichen?, oder er bemäkelte
die Eselsohren. Lerne fleißig, gebe acht, das Wissen ist das Tor zur Macht,
sagte er dann immer und gab ihr die Hefte zurück, ohne der Antwort auf die an
ihm zehrende Frage auch nur ein Jota näher gekommen zu sein: Wie könnte er
dafür sorgen, dass seiner Tochter gelingen würde, was ihm so ziemlich danebengegangen
war - das Leben. Im Unterschied zu Jadzia, die keinen Augenblick ihren Traum
vom deutschen Schwiegersohn und dem weißen Haus in einem schönen Castrop-Rauxel
aufgegeben hatte, fehlte ihm eine klare Vorstellung von dem, was in Dominikas
Fall ein gelungenes Leben sein konnte. Er probierte in der Phantasie mögliche
Versionen eines wunderbaren Lebens aus, das sie erwarten mochte, aber er kannte
nur wenige und keine genau. Am besten gefiel ihm die Vorstellung von Dominika
als Ärztin, so sauber und ernst im weißen Kittel, mit einem Stethoskop um den
Hals, wie die Doktor Eva aus seiner Lieblingsserie. Er stellte sich vor, wie
seine Tochter Rezepte ausstellte oder in die Reihe der wartenden Patienten
rief: »Der Nächste bitte!«, aber für sich selbst konnte er in diesem Bild
keinen Platz finden. Er hatte nur die Hoffnung, dass der Bandwurm, der ihn
verschlang, nicht ansteckend war. Einmal ging er zu einem Schwimmwettkampf, an
dem Dominika teilnahm. Nur wenig verspätet, aber munter, frisch rasiert und in
eine Rasierwasserwolke gehüllt, stolz auf seine nüchterne sonntägliche
Bevaterung, betrachtete er begeistert das Mädchen, das sich am Startblock
drei zum Sprung anschickte. Sie war groß und stark, hatte einen Puddingkörper
wie seine Jadzia mit deutlich sichtbaren Hüften und eine zu locker sitzende
Schwimmkappe, unter die sie eine feuchte Haarsträhne schob. Dieser Anblick
rührte Stefan aus ihm unerfindlichen Gründen fast zu Tränen. Er feuerte sie an
und war enttäuscht, als sie verlor, bis sie die Schwimmkappe abzog und er beschämt
feststellte, dass es gar nicht seine Tochter war. Diese bemerkte er erst
jetzt. Glücklich über ihren Sieg, dürr wie ein Stecken, hüpfte sie auf und ab
und schüttelte sich das Wasser aus den Ohren. Nie hatte jemand Stefan gesagt,
was ein Vater mit einer Tochter machen kann, die kein Kind mehr ist, die sich
nicht mehr in der Badewanne kitzeln lassen und auch nicht mehr auf seinem Schoß
sitzen will. Deshalb tat er meistens gar nichts, schaute nur hinter einer
Mauer des Schweigens hervor. Er hätte eine Niere, wenn nötig sogar sein Herz
für sie geopfert, aber reden konnte er nicht mit ihr. Er erwischte sich bei
seltsamen Gedanken über ihren sich wandelnden Körper, den er früher so gut
kannte, dass er für jeden einzelnen Körperteil einen Scherznamen hatte. Er
küsste das Köpfchen-Knöpfchen, die Händchen-Spillerenzchen und Beinchen vom
Kleinchen. Ihren kleinen Schlitz, den er um nichts in der Welt berührt hätte,
nicht mal wenn Dominika als Säugling in die Windeln pinkelte, nannte er
Piroggelchen, denn alles, was kostbar war, verband sich für ihn mit Essen.
Noch ein, zwei Jahre zuvor hatte es seine Tochter gar nicht gestört, wenn er
mit ihr im Badezimmer war, doch als er vor kurzem hineinging, um die Hände

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