Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
Vom Netzwerk:
Dealer handelten mit »Kompott« und gefälschten Rezepten für
Relanium und Reladorm; männliche und weibliche Nutten brachten in Umlauf, was
sie zu bieten hatten. Auf der Terrasse des Babel herrschten nicht nur freie
Liebe und freier Markt, sondern auch Redefreiheit. Die freie Liebe hatte
keinen festen Preis. Der Stand der Aktien wurde an die Wand geschrieben, wo man
auch seiner Unzufriedenheit Ausdruck verleihen konnte. »Fick den Dealer Maniek«
oder »Miliz = Arschlöcher«. Im Winter spielte sich das Leben hauptsächlich im
Flur ab, aber im Sommer zog es sie hinaus an die Sonne: die Drogensüchtigen
mit den Gesichtern in Plastikbeuteln voll Kleber, obdachlose Paare, die eine
Spur benutzter Präservative hinter sich ließen, angeberisch laute Jungs, die
schon die Macht des Alkohols kennengelernt hatten, der die Zunge löste, die
Arme und manchmal auch die Schenkel der Mädchen öffnete, die anfangs noch
schüchtern waren, sich aneinander festhielten, husteten, Hilfe! riefen, ich
kann nicht mehr, das brennt so! Ratte, ein an Jahren junger und an Erfahrung
alter Drogensüchtiger, trieb mit segelartig ausgebreiteten Armen von einem
Ende der Terrasse zum anderen, Ahoi Matrose! riefen ihm die anderen zu, knall
nicht gegen die Felsen! Ratte hatte Matrose werden wollen, ein unpraktischer
Traum in einer so fern vom Meer gelegenen Gegend, deshalb brachten ihn die
Eltern davon ab und schickten ihn in die Bergbauschule, damit er einen
anständigen Beruf erlernte. Doch anstatt das schwarze Gold zu schürfen, ergriff
er bereits nach der ersten Fahrt unter die Erde schreiend die Flucht, Blut kam
ihm aus der Nase, und er schlug den Kopf gegen die Stollenwand, dass sich die
abergläubischeren Bergleute bekreuzigten. Was für ein Teufel, der wird ihnen
noch Unglück bringen! Anstatt des schwarzen Goldes bekam Ratte den gelben
Schein und segelte seitdem auf der Terrasse des Babel, träumte von endlosen
Horizonten und Meeren, von Inseln, an denen sein Schiff vor Anker ging, und die
Brise wiegte die Palmen. Jozek Sztygar, immer hungrig nach Wodka und Rauch,
bettelte nicht, vielleicht hatte er noch seine Würde, vielleicht hatte er aus
Versehen die eines anderen genommen, zumal er im Suff seine eigene Frau nicht
erkannte. Er hielt einen Augenblick inne und wartete, mal sehen, ob jemand
einen Stummel übriglässt oder ihm gar eine ganze Klub zuwirft, dann verbeugte
er sich steif wie ein Japaner und sagte Danke, empfehle mich fürs nächste Mal.
Manchmal war auf der Terrasse des Babel viel los, doch alle mieden wie auf
Verabredung die Selbstmörderecke am linken Rand, als fürchte man, in der Nähe
des Geländers an dieser Stelle den Todesvirus zu fangen, sodass die Arme sich
ganz von selbst zum Flug ausbreiten und die Beine wie auf Federn hochschnellen
würden. Von dort springt man hopp! direkt auf den halbrunden kleinen Platz
gegenüber von Supersam, der im Licht einer einzelnen Straßenlaterne liegt. Man
steht auf einem etwa dreißig Zentimeter breiten Vorsprung. Von dort sieht man
die Hügel, die den Horizont um Walbrzych begrenzen, dahinter liegt die Welt,
die man nicht sehen kann. Man springt. Im Babel gab es jedes Jahr einen
Selbstmord, in einem Jahr sogar zwei. Der erste, begangen von einer stillen und
abgezehrten Frau, die im Lebensmittelladen am Babel Verkäuferin war, ereignete
sich im Juni und hätte die Gemüter stärker in Aufwallung gebracht, wenn nicht
just zu diesem Zeitpunkt die polnische Mannschaft in der
Fußballweltmeisterschaft den dritten Platz belegt hätte. So war er ganz
verschwendet, weil es keine Zuschauer gab. Doch im Dezember desselben Jahres
sprang noch Emilka Buczek aus Szczawienko, ein blutjunges Mädchen. Das war
dann wirklich ein Thema im Babel, wie kann man nur, so kurz vor Weihnachten,
die Mutter hatte den Karpfen schon gekauft und die Piroggen fertig, so jung
und ohne Grund da runter springen, das war wirklich Sünde. Emilkas Vater warf
sich angeblich in seiner Verzweiflung über den Sarg, und danach hat er nur noch
getrunken, sonst nichts mehr. Bloß einmal, und zwar in dem Jahr, in dem ein
Pole Papst wurde, da sprang keiner. Nur die besoffenen Dreckskerle von der
Baufachschule, die brachen der Kellerkatze die Beine, übergossen sie mit
Benzin und warfen sie brennend vom Dach, aber das war nicht dasselbe.
    Ab und zu
schaute die Miliz auf der Terrasse vorbei, doch sie stießen immer nur auf die
bis zur Bewusstlosigkeit Zugeknallten, zum Beispiel Ratte, der ihnen durch die
Hände rutschte, als sie

Weitere Kostenlose Bücher