Bator, Joanna
Rinderleber im Fleischerladen
erschreckend ähnlich sah, diesem merkwürdigen Fleisch der armen Schlucker, das
wie ein riesiges Blutgerinnsel wirkte, lag am Boden des Glases, weil sich das
Rosshaar, das die Leber in der Schwebe hielt, aufgelöst hatte. Die Leber war
mit einer grünen Schicht bedeckt, die außerordentlich faulig aussah, und die
Gymnasiasten witzelten, dass dies die Leber von Professor Gugula war, der
Wehrkunde unterrichtete und vor seinen Erzählungen vom Schießen und Verbinden
einen Schluck aus der in der Pultschublade ruhenden Flasche zu nehmen pflegte.
In den Korridoren des Gymnasiums hing ein leichter Formalingeruch, der in die
Kleidung drang. Im Mansardengeschoss befand sich ein astronomisches
Observatorium, wo man sich auf einem Schlachtfeld kaputter Instrumente und
alter Schulbänke verstecken konnte, um Zigaretten zu rauchen. Aufs Walbrzycher
Oxford gingen Kinder, die entweder außerordentlich begabt waren oder jemanden
im Rücken hatten, zum Beispiel Väter, die Ärzte oder Champignonzüchter waren,
tüchtige Mütter in der PZU [ Polnisches
Versicherungsunternehmen] oder auch nur
eine Privatkonditorei hatten. Wie soll sie in diesem Oxford zurechtkommen ohne
jemanden im Rücken? seufzte Jadzia ihrer Schwiegermutter beim sonntäglichen
Mittagessen vor, einem Ritual, an dem beide Frauen mehr hingen, als sie
zugeben wollten. Wie viel netter war es doch, sich bei Fleischsuppe und
Kotelett mit Kartoffeln nicht zu mögen. Deshalb luden sie einander abwechselnd
ein, und eine ganze Woche hatte die jeweils Eingeladene das befriedigende
Gefühl, dass sie alles besser machen würde als die Einladende. Jadzia machte
es Sorgen, dass die Schüler am Oxford mit ihren eigenen Autos vorgefahren
kommen würden, jeder Dritte dort hatte einen kleinen Fiat oder einen Lada, und
im Sommer fuhren sie mit ihren Eltern nach Bulgarien oder nach Rumänien. Na
und, was heißt das schon, dass sie in der Gegend rumkutschieren, brauste Haiina
auf und stieß eine Rauchwolke aus. Sollen sie fahren, sollen sie fahren, ihr
Arsch bleibt doch überall gleich dick. Aber Dominika, die hat's im Kopf! Und
angeblich trinken sie dort, beharrte Jadzia. Wo trinken sie denn nicht, überall
wird doch getrunken! Haiina machte eine wegwerfende Handbewegung. Was sie
Jadzia nicht sagte, war, dass sie die verstaubte Nähmaschine aus der Ecke
geholt hatte, als Dominika den Platz im Oxford bekam, ihre Enkelin sollte
aussehen wie ein Mensch, wenn sie in die neue Schule kam. Die Wohnung in
Szczawienko verwandelte sich wieder in eine Werkstatt voll mit bunten Fetzen,
nur die Augen der Oma waren nicht mehr so gut wie einst. Am besten gelang
Haiina ein rotes Kleid aus Windelbaumwolle, die sie eigenhändig knallrot
gefärbt hatte, wie Klatschmohn. Haiina hielt sich diese Herrlichkeit am
Spiegel vor und drehte sich wie zum Tanz. Einer solchen Kreation hätte sich
auch Grazynka Rozpuch nicht geschämt.
Seit dem Tod
ihres Sohnes suchte Haiina im Gesicht der Enkelin nach den tröstenden Spuren
einer Familienähnlichkeit. Sie war immer fester davon überzeugt, dass Dominika
nicht nur genau wie Stefan aussah, sondern auch den klugen Kopf von ihm geerbt
hatte. Wenn die Enkelin im Fleisch- oder Gemüseladen schneller rechnen konnte
als die Verkäuferin und dazu noch ohne Zettel oder wenn sie die zu zahlende
Summe korrigierte und die Verkäuferin nach nochmaligem Nachrechnen zugeben
musste: Tatsächlich, da hab ich mich verrechnet, entschuldigen Sie, Frau
Haiinka!, dann wurde Haiinas Eidechsenkörper von menschlicher Wärme
durchströmt. Sie ließ den Blick durch den Laden schweifen und seufzte wie
Jadzia: Tja, das Kind ist so gut in Mathematik, sie ist die Beste in der
Klasse, was soll man da machen! Die Oma war die Erste, die bemerkte, dass
Dominika zwar wirklich mager, dunkelhäutig und krausköpfig war, aber nicht mehr
hässlich. Es gab in ihrem Gesicht mit der zu großen Nase und dem vorstehenden
Kinn zwar keine drastischen Veränderungen, doch nahmen auch andere allmählich
wahr, dass diese kleine Chmura sich irgendwie mauserte. Gelegentlich pfiffen
ihr Vertreter des männlichen Geschlechts auch am Babel hinterher und
formulierten sogar erste embryonale Sätzchen, die sich direkt an Dominika als
Frau richteten, zum Beispiel: He, Chmura, dir wachsen ja die Titten, oder: Komm
schon, Chmura, lass dich anmachen. Ratte brachte ihr dreidimensionale
Postkarten auf die Terrasse des Babel mit, weiß der Himmel, wo er die her
hatte. Wahrscheinlich stammten sie aus
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