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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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von
Warbrzych verschwunden war. Was hatte sie schon für Reiseerfahrungen - einmal
zum Urlaub ans Meer und einmal in die Berge nach Karpacz, wo sie sich im
Übrigen wegen dieser Kakerlaken Salmonellen eingefangen hatte. Die ganze Woche
war sie krank gewesen. Jadzia Chmura wandte sich um und brachte die denkwürdige
Treppe des städtischen Bahnhofs aus eigener Kraft hinter sich, obwohl sie viel
schwerer und älter war als seinerzeit. Sie hatte es eilig, zurück nach
Piaskowa Göra zu kommen.
    Es war ein
heißer, trockener Sommer, alles knackte wie Reisig zum Anzünden des Ofens. Auf
Piaskowa Göra barsten die Gehsteigplatten und schmolz der Asphalt. Jadzias
Beine schwollen an wie nie zuvor. Sie betrachtete ihre aufgedunsenen Waden,
die unter der Haut aufgeplatzten Adern bildeten blaue Flecke, die zu Umrissen
von Kontinenten und Tieren zerrannen. Wenn sie sich in der Kirche von den
Knien erhob, stach es im Kreuz, sie geriet außer Atem, wenn sie durch den Busch
nach Hause ging, hielt an, wischte sich den puderbraunen Schweiß von der Stirn.
Sie war über vierzig, seit zwei Jahren Witwe, manchmal wachte sie nachts in
einer Hitzewallung auf, weil sie von Stefan geträumt hatte, der auf den Beinen
einer Amazonas-Spinne über die Wand huschte. Zwischen jedem Paar behaarter
Spinnenbeine hatte er ein kleines Schwänzchen, das baumelte wie ein
Sandsäckchen. Er lächelte sie mit Goldzähnen an, doch in den Augen hatte er
Tränen. Ihre Periode dauerte sieben schmerzensreiche Tage, während derer sie
auf einem salzigen Meer aus Gram und Groll trieb, Blutklumpen, groß wie
Viermonatsföten, klatschten aus ihr heraus, wenn sie rittlings über der Wanne
saß und sich wusch. Immer schneller ermüdeten und schmerzten ihre Augen, und
sie fürchtete, sie würde eine Brille tragen müssen, vielleicht nicht die ganze
Zeit, aber doch beim Fernsehen und beim Lesen ihrer Romanzen. Manchmal musste
sie das Buch ausgerechnet dann weglegen, wenn es kurz vor der Entscheidung war,
ob sie sich kriegen würden. Keine Geschichte in Buch und Film war so schön wie
ihre geliebte Sklavin Laura, aber viele erfüllten ihren Zweck, indem sie Jadzia genau die richtige
Menge Tränen entlockten, um den inneren Druck auszugleichen. Ihre mausfarbenen
Haare wurden grau. Sie hellte sie selbst mit Platinblond auf, weil sie den
Friseuren nicht traute. Die sudeln nur herum, beschwerte sie sich und rührte in
einer Schüssel die nach Ammoniak stinkende Paste an. Die Handtücher waschen sie
nicht, sie trocknen sie nur, da weiß man nie, was man sich fangen kann. So ein
Handtuch ist ein wahrer Bakterienherd! Ausgehend von den Haarwurzeln trug sie
die Farbe mit einer alten Zahnbürste auf, während ihr die Tränen aus den
gereizten Augen liefen. Die watteweichen Haare tauchte sie in eine Enzianspülung
aus der Apotheke, und immer wurde das Haar zu violett. In diesem Sommer schaute
Jadzia öfter in den Badezimmerspiegel. Sie führte ihre schönen stachelbeergrünen
Augen ganz nah an den Spiegel, glättete mit den Händen die etwas schlaffe Haut
auf den Wangen, zog ihre Brauen akkurater als sonst nach und tuschte sich die
Wimpern grün, nicht mehr mit dem Stein, auf den man spucken musste, sondern mit
einer eleganten Spiralbürste.
    Immer mehr
Frauen aus Walbrzych fanden den Mut, zu Tauschgeschäften in die Türkei zu
fahren, wo sie wie die Lepka Kristallware gegen Felljacken und Jeansröcke
tauschten, gegen seltsam chemisch riechendes Rouge in allen Schattierungen von
Rosa und Violett, elastische Gürtel mit schmetterlingsförmigen Schnallen. Sie
brachten ganze Taschen voller Schätze auf die Arbeit oder luden Bekannte zu
sich ein und verkauften, dabei erzählten sie Wunder von türkischen Männern,
starken, unerschütterlichen, ganz sauber gewaschenen, die sie nicht in Ruhe gelassen
hatten, wie die Motten flogen sie auf ihr blondes Haar und ihre blauen Augen,
ihre Brüste und Hüften, die auf der ehelichen Couch schon lange keine
Begeisterung mehr entfacht hatten. Man konnte sie einfach nicht abschütteln,
die Lepka ging durch Istanbul und hatte alle zwanzig Meter einen Türken an
jeder Seite. Sie immer: Najn, najn, und er: kajne najn, du bist sär scheen,
isch libbe disch.
    Dank der
türkischen Baumwolle konnte Jadzia in diesem Sommer ihre Garderobe wieder mit
ihren bevorzugten Rosatönen aufhellen, die sie seit dem Tod ihres Mannes
nicht mehr getragen hatte. Jadzia Chmura ging mit einem Mann ins Bett, sie
hatte einen Geliebten, obwohl sie die ganze Situation eher so

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