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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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sah, dass sie
besessen wurde, wie Isaura von Leoncio. Denn es war nicht sie, es war das
Schicksal, es war Vorherbestimmung, eine übermächtige Kraft, die sie in die
Arme eines nichtehelichen Mannes warf. Das hat mich derartig geschüttelt! sagte
sie zu Krysia Sledz. Das hat mich derartig geschüttelt, ich weiß nicht, wie ich
mich wieder fangen soll. Und alles wegen Onkel Kazimierz!
    Als Stefan so
plötzlich aus ihrem Leben verschwunden war, kam Onkel Kazimierz wieder zur
Rettung seiner Verwandten herbeigeeilt, denn seine Gedanken waren immer bei
der Familie. Sein Herz war wie die Einzimmerkate der Maslaks — warm, eng und
ein bisschen stinkig, und es stand jedem Angehörigen offen. Seitdem er nach dem
Krieg in Walbrzych angekommen war, rollte er, allen Gesetzen der Physik zum
Trotz, stetig bergauf und legte sich dabei ein schönes Polster zu. Gedrungen
und kurzbeinig, hielt er sich immer noch dicht an der Erde und rieb sich vor
Freude die Hände mit den dicken Fingern, die alle gleich lang waren. Er liebte
noch immer kleine Mädchen, Miniaturfrauchen, die einen süßsäuerlichen Geruch
ausströmten wie zerquetschte Himbeeren. Ach, wenn er sie in die Luft werfen
konnte, dass die Röckchen flatterten, und auf den Knien - Hoppe-Hoppe-Reiter -
hüpfen lassen, sie an den Armen im Kreis wirbeln, bis sie auf den Boden
purzelten und da lagen und mit den Beinen zappelten, dass man bis zu ihren
Unterhöschen sehen konnte. Wenn in der Kirche Kommunion war, konnte er die
Augen nicht abwenden. Ihre Augen, Händchen, Popochen. Die kleinen Zappelmariechen
in weißen Kleidern und Kränzchen, er fand, es gab nichts Schöneres auf der
Welt. Solchen Töchterchen würde er ein Haus bauen und Männer finden, erst
recht jetzt, da endlich die Zeiten angebrochen waren, in denen sich seine
kaufmännischen Fähigkeiten zu voller Blüte entwickeln konnten. Die Ära der
Kazimierz Maslaks war angebrochen, sie waren es, die ihren Geruch als erste
witterten, nicht umsonst hatten sie immer die Nasen in karierte Taschentücher
geschneuzt. Sie ließen sich nicht mehr im Zaum halten, rissen an ihren Leinen
und Ketten. Auf geht's! Private Buden wuchsen zwischen den düsteren Läden der
abdankenden Epoche aus dem Boden, aus Pappe, Papier und Folie zusammengeklebt,
aus Wellblech, Glasscheiben, Spucke und Sand, und darin gab es Konfekt zu
kaufen, Mais und Ananas in Dosen, unbekannte und exotische Dinge, Dinge, die
sich angenehm anfühlten, hübsch anzusehen waren, eine Auswahl an Dingen, die
unnötig waren, begehrt, spitzenverziert, samtig, glatt. Der Wind der Neuerung
wehte, die restlichen Rationierungskarten wurden verschenkt, und durch
Walbrzych flossen Ströme von Coca-Cola, Lawinen tschechoslowakischer Lentilki
ergossen sich auf den Markt, von Westen rückten millionenstarke Gummibärchentruppen
ein, der lächelnden Türken Stoßkraft galt den Halva-Würfeln, chinesische
Adidas-Imitate marschierten über die schlaglöchrigen Straßen und zertrampelten
die ansässige Schuhfabrik zu einem Brei aus Leder und Leim. Waren aus der
Türkei und der BeErDe, aus Ungarn und weiß der Himmel woher wurden im Hemd, in
der Aktentasche, unterm Rock mitgebracht, über die südliche Grenze zur
Tschechoslowakei auf dem Rücken getragen, besorgt, ertrickst, hintenrum
organisiert. Und das alles auf Piaskowa Göra, auf dem Basar am Fuß des Babel,
der Manhattan genannt wurde! Anfangs kaufte Onkel Kazik tschechoslowakische
Ware von den »Ameisen« und verkaufte sie mit Profit in seiner Bude namens
»Delikatessen bei Kazio« auf dem Manhattan, später investierte er in
schokoladenartige Produkte, die sich bei ihm besser verkauften als bei der
Konkurrenz, nicht weil sie besser geschmeckt hätten, sondern wegen seines
sogenannten »Ideechens«: Er ließ die aus Fett, Zucker und Kakao bestehenden
Tafeln mit abgelaufenem Verfallsdatum in Papier mit Bildchen einpacken, die
nach Art des Hauses kopiert waren. Wer drei Stück kaufte und ein Kind bei sich
hatte, bekam von ihm einen Gratislutscher dazu. Eine Nachbarin von Onkel
Kazimierz stellte die Lutscher selbst her, aus Zucker und sowjetischer
Lebensmittelfarbe, die sich nach dem Lutscherlecken zwei Tage lang nicht von
Mund und Zunge abwaschen ließ, sodass die Kindergesichter aussahen wie blutige
Wunden. Als sich Schokoladenartiges nicht mehr lohnte, stellte Kazimierz Maslak
eine seriöse Marktforschung an, er betrank sich im Teczowa, trank im Popularny
am Bahnhof, durchstreifte den Manhattan am Babel und auch den alten

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