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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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Kinn aufzustützen immer stärker
zum Ausdruck kommt. Sie drückt Dominika an sich, die sich zu ihr hinabbeugt
und den vertrauten heimeligen Geruch einatmet. Als Jadzia Dominika zur Welt
gebracht hatte, wartete Zofia über ein Jahr, bis sie, in einen verschossenen
Pelzmantel aus Vorkriegskaninchen gemummt, nach Walbrzych fuhr. Das Herz
krampfte sich ihr vor Angst zusammen. Schluchzend stand sie in den roten
Schneestiefeln, die Jadzia ihr geschickt hatte, während sich auf Haiinas
Küchenfußboden eine Pfütze aus schmelzendem Schnee und Tränen ausbreitete.
Alle dachten, die angereiste Oma weine aus Enttäuschung über Dominikas
Magerkeit und Hässlichkeit, doch Zofia Maslak weinte vor Glück und sagte immer
wieder: Wie es einem geschrieben steht, so fällt der Stein ins Wasser, sehr zum
Verdruss der solchen Gefühlsaufwallungen abgeneigten und etwas eifersüchtigen
Haiina. Während sie das Enkelkind betrachtete, brach sie alle Augenblicke in
Tränen aus, bis Stefan fragte: Liebe Mama, bist du wirklich so gerührt, oder
hast du vielleicht was mit dem Magen?
    Vor Dominikas
Ankunft ist Zofia extra auf den Markt nach Skierniewice gefahren und hat dort
bei den Vietnamesen ein Kleid gekauft, es waren die ersten Asiaten, die sie in
ihrem Leben zu Gesicht bekam, und sie wird sie bis ans Ende ihrer Tage Chinesen
nennen. Man kann so einem ja nicht in die Augen sehen, aber es ist ein
ehrliches Volk, da kann man sich nicht beschweren. Sie ist nach Skierniewice
gefahren, obwohl sie Zalesie nicht gerne verlässt. Ihre Enkelin will sie zu
einem Urlaub überreden, zum Sanatorium in Ciechocinek, aber sie sagt, auf einer
Reise muss man sich mit so vielem beschäftigen und an so vieles denken, dass
man im Kopf ganz durcheinander wird und überhaupt nicht mehr weiß, was man wo
hat. Ihr fehlt es an nichts in Zalesie! Lieber sitzt Zofia Maslak auf der
allmählich verfallenden Veranda oder unter dem Walnussbaum und warret auf ihre
Enkelin. Auf einen solchen Augenblick, auf einen Spaziergang durchs Dorf mit Dominika,
die zu ihr gehört, lohnt es sich zu warten. Dann gehen sie Arm in Arm, wünschen
sich mit Frau Gorgölowa, dem alten Cudzakow, Makara, Janek Kos Gott zum Gruße
und halten einander an der Hand. Wie es einem geschrieben steht, so fällt der
Stein ins Wasser, sagt Zofia, und Dominika lacht: Meine Oma die Dichterin,
meine exponentielle Oma.
    Wie es einem
geschrieben steht, so fällt der Stein ins Wasser, pflegte Jadwiga Strak zu
sagen, die Müllerin von Brzezina, deren Vornamen Zofia ihrer einzigen Tochter
nur in der Koseform gegeben hatte. Sie meinte damit ungefähr, dass das, was
geschehen soll, auch geschehen wird, doch der Mensch kann mit Gott einen für
beide Seiten günstigen Pakt schließen und ein böses Schicksal überlisten.
Zumindest verstand Zofia es so, denn Jadwiga erklärte ihre Aussprüche nie, und
die ganze Familie musste rätseln, worum um aller Welt es ihr diesmal ging. Auf
dieselben Gleise, auf denen der Personenzug aus Skierniewice ihre Enkelin
gebracht hatte, hatte sich Zofia dreiundvierzig Jahre zuvor gelegt, um den
letzten und radikalsten Versuch zu machen, sich einer ungewollten
Schwangerschaft zu entledigen. Der Himmel über ihr war gläsern und schrecklich,
es roch nach Quendel, im Wald rief eine Eule, und die Schienen bebten schon
unter dem Gewicht des sich nähernden Zuges. Zofia lag so, wie es sich gehörte,
auf dem Rücken, den Kopf in Richtung der nahenden Lokomotive, denn es war
wichtig, dass sie den Körper von oben nach unten überrollte und nicht
umgekehrt. Sie hatte ein geblümtes Kopftuch umgebunden, und unter den vollen
Brüsten ragte der kleine Hügel ihres Bauches auf, der bald anderen in die Augen
stechen würde. Der Geruch nach Rauch und erhitztem Metall stieg ihr schon in
die Nase, die Schienen sangen direkt neben ihrem Gesicht, und sie legte die
Hände schützend auf den Bauch, den sie doch loswerden wollte. Dann war alles
nur noch Finsternis und Getöse. Zofia machte in die Hose und wusste, dass sie
es nicht mehr aushielt, sie musste aufstehen und versuchen, vor diesem Tosen
und Heulen, vor dieser Finsternis zu fliehen, bevor sie davon zerquetscht und
verschlungen würde. Sie hob langsam den Kopf, von dem der Zugwind das
mohnblumengemusterte Tuch geweht hatte, ihre Stirn war kaum ein Haarbreit von
dem eisernen Fahrgestell entfernt. Da fühlte sie, wie sich etwas über sie breitete,
das sanft und stark zugleich war, es bedeckte und beschützte sie, barg sie
unter sich und hielt sie

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