Bator, Joanna
reglos zwischen den Schienen. Auf einmal wurde sie
klein und willenlos wie ein Embryo im Ei, jenseits der Angst, weil sie nicht
wusste, was es hieß, sich zu fürchten, jenseits der Welt, weil sie die Welt
noch nicht kannte. Der Krach des Zuges war plötzlich fern und unwirklich wie
Geräusche unter Wasser. Zofia hatte keine Angst mehr, zwischen ihr und dem Tod
war etwas, das weder sie noch der Tod durchdringen konnten. Wie es einem
geschrieben steht, so fällt der Stein ins Wasser, das war die Stimme ihrer
Mutter, der Müllerin aus Brzezina, und sie war es auch, die den Kuss auf die
Stirn der geretteten Zofia drückte. Sie öffnete die Augen, und wieder war Himmel
über ihr, jetzt war er rein und friedlich, mit ausgefransten Löchern für die
Sterne. Das Ende des Zuges verschwand im Dunkel, es roch nach Quendel.
Rußschwarz, aber lebendig, mit einem Bauch, der voll war und das auch bis zur
Entbindung bleiben sollte, lief Zofia durch das dunkle Dorf nach Hause und
dachte, dass die Worte ihrer Mutter etwas bedeuten mussten, etwas Gutes und
Starkes, dass sie ein Wunder prophezeiten. Sie hatte das Gefühl, als sei sie
jetzt erst schwanger geworden, und die zuvor ungewollte Schwangerschaft wurde
jetzt ersehnt und erwartet.
Jadwiga Strak
aus Brzezina, die Mutter von Zofia und fünf anderen Kindern, die nicht
überlebten, brachte eine Menge Redensarten hervor, die außer ihr niemand kannte
oder verstand. Sie stellte beliebig Sprichwörter zusammen, schnitt sie in der
Mitte durch und fügte dem Rest des einen das übriggebliebene Stück eines
anderen an, das sie auch nur teilweise verwendet hatte. Die Späne fegte sie zusammen,
rollte sie zu einer Kugel und steckte sie in die Schürzentasche, sie würde
schon noch Verwendung dafür finden. Ihre Sprache war ein verrücktes Flickwerk,
was für eine Landschaft, was für ein Muster! Hätte man eine solche Decke
genäht, würde sie den Augen beim bloßen Anschauen wehtun, und dennoch würde
sie den Blick auf sich ziehen, denn jeder würde darüber nachsinnen, ob die
Näherin verrückt geworden war oder ein verborgenes Ziel verfolgen mochte. Von
kaputten Dingen sagte sie: Die rufen ja schon nach Erbsen mit Kohl, und das
feinste Mehl pries sie an als weiß wie die Füße der Muttergottes am Sonntag.
Bei faulen Burschen wird auch für den Kaiser nichts werden, klagte sie über die
Müllerburschen, die alle naselang aus dem Gemüsegarten gescheucht werden
mussten, wo sie sich mit Erbsen und Erdbeeren vollstopften. Zofia wurde ganz
ängstlich zumute, wenn die Mutter sie aus ihrem Schaukelstuhl, dem einzigen
Stück Mitgift, das sie in die Ehe gebracht hatte, anschaute und sagte: Denk
daran, Öl ist gerecht und schwimmt oben wie eine Ertrunkene, oder sie für ein
Vergehen rügte, indem sie ihr mit dem Finger drohte: Der Teufel wartet nur
drauf, dass er dich in seinen Schwanz einwickeln kann, und dann aber dreimal
über die Schulter gespuckt! Jadwiga hatte einen vorstehenden Bauch, große
Hände und Augen wie unreife Stachelbeeren. Wie es einem geschrieben steht, so
fällt der Stein ins Wasser, sagte sie zu ihrer Tochter, und auf ihrem Thron
schaukelnd stickte sie jahrelang an einem Tischtuch, das sie dem Herrgott zum
Dank für ihr gesundes und unversehrtes Kind versprochen hatte. Zofia hatte
Angst, wenn sie nicht tun würde, was die Mutter ihr sagte, würde sie zwischen
zwei Mühlsteine geraten, die ihre Knochen zu einem mit Weizenkörnern
vermischten Brei zermahlen würden. Dieses Unglück war in einem Herbst dem
taubstummen Tadzio widerfahren, den Zofias Vater Adam Strak aus Mitleid
angestellt hatte, und das Mädchen, das die Müller gerne bei der Arbeit
beobachtete, sah, wie der Arm des Jungen krachte und Blut herausspritzte, und
das alles geschah in einer merkwürdigen Stille. Tadzio hatte zwar den Mund wie
zum Schrei aufgerissen, doch auch jetzt blieb er, der noch nie einen Ton
herausbekommen hatte, stumm, und sie war starr vor Entsetzen. Der Vater trug
beide zugleich aus der Mühle heraus, unter dem einen Arm Tadzio, unter dem
anderen seine Tochter. Jadwiga fiel fast in Ohnmacht, weil sie dachte, ihrem
eigenen Kind sei auch etwas zugestoßen, doch Zofia war heil und gesund, nur
träumte sie von da an von roten, blutgetränkren Broten. Adam Strak kaufte dem
Versehrten eine teure Prothese aus Leder und Holz, die jedoch auf dem Armstumpf
nicht gut hielt, weshalb Tadzio sie meistens in der anderen Hand trug und dazu
benutzte, Hunde zu verjagen, die Zweige des Mirabellenbaums tiefer
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