Bator, Joanna
Großmutter und Enkelin und der Schüssel mit Kirschen nieder,
an dem Tisch unter dem Nussbaum, denn da er nun mit einem wichtigen Anliegen
gekommen war, bitte sehr, solle er sich setzen, Gast im Haus, Gott im Haus, wie
man so sagt. Er trank ein Glas kalten Rhabarbersaft, lobte den Geschmack,
heutzutage bekam man so etwas selten zu kosten, in der Stadt schon gar nicht.
Er lächelte noch einmal beruhigend und sagte, er sei ein Freund von Herrn
Ignacy Goldbaum und schreibe ein Buch über Polen, die im Krieg Juden gerettet
hatten, er sei der schwachen Spur der Zofia Maslak gefolgt, deren Andenken der
in Berkeley bekannte jüdische Arzt Ignacy Goldbaum in so hohen Ehren gehalten
hatte. Ist Ignacy tot? stieß Zofia flüsternd hervor und legte dann die Hand auf
den Mund, als fürchte sie, die Fragen, die sie seit über vierzig Jahren
bewegten, könnten plötzlich aus ihr geschossen kommen wie die Kerne aus dem
Kirschentsteiner. Was für ein Ignacy, Oma? fragte Dominika. Auf den fragenden
Blick des Historikers hin erlaubte Zofia der Enkelin, bei dem Gespräch am
Tisch zu bleiben, denn, so dachte sie bei sich, wie es einem geschrieben steht,
so fällt der Stein ins Wasser, und da das Geheimnis nun just in diesem Sommer
zur Reife gelangt war, wie die Kirschen für die Konfitüre, konnte man nichts
machen. Sie nahm den ausgefransten Strohhut ab und rückte ihren Zopf zurecht,
um sich der Vorsehung in Gestalt von Marek Czerwihski, der für sie Modraczek
blieb, angemessen zu präsentieren. Nein, Ignacy Goldbaum war nicht tot, es
ging ihm gut, und sein, Marek Czerwihskis Besuch bei ihr hänge mit Ignacy
Goldbaums von Zofia gerettetem Leben zusammen und nicht mit seinem Tod. Was
für ein Ignacy, Oma? fragte die Enkelin mit dem Kamillenblütenkranz wieder.
Ignacy Goldbaum, antwortete ihre Großmutter und tat einen Seufzer der
Erleichterung, auf die sie lange hatte warten müssen. Dann kannten Sie also
Ignacy Goldbaum? Ja, sie hat ihn gekannt, bestätigte Zofia. Von Dezember 1944 bis April 1945 hatte sie ihn
in diesem Haus versteckt gehalten, sie allein, niemand hatte davon gewusst.
Sie zeigte mit der Hand auf ihr Haus, als könnte es noch ein anderes in ihrem
Besitz geben, das in Frage käme. Auf dem Dachboden? Auf dem Dachboden. Auf dem
Dachboden? wiederholte Dominika, Ignacy Goldbaum auf dem Dachboden? Die nie
erzählte Geschichte drängte aus Zofia heraus, die Worte strömten wie die
Pekznica im März. Es tat so gut, endlich alles zu erzählen. Hatte sie je wieder
von ihm gehört? Zofia senkte die Augen, und die Leberflecke verschwanden in der
tiefen Röte, die ihr Gesicht übergoss. Drei Briefe in der letzten Zeit.
Briefe, Oma? Habe sie gewusst, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzte, wenn sie
einem Juden half? Daran habe sie nicht gedacht? Wie es einem geschrieben
steht, so fällt der Stein ins Wasser? Sehr interessant. Marek Czerwihski hat
dieses Sprichwort noch nie gehört, aber es gefällt ihm. Bitte sehr, benutzen
Sie es nur! Zofia lächelte, einen Augenblick lang konnte Marek Czerwihski sich
vorstellen, wie sie vor vierzig Jahren ausgesehen hatte, mit rotwangigem
herzförmigem Gesicht und Hüften wie eine Wiege, dann warf er noch einen Blick
auf Dominika mit ihrer sonnengebräunten Haut und dem kaffeeschwarzen Haar. Er
ist Arzt geworden? Zofia stellte die erste Frage mit derselben Scheu, mit der
sie sich in den ersten Wochen an Ignacy gewandt hatte, bevor sie feststellte,
dass er nicht nur erzählen, sondern sie zum Reden bewegen konnte und ihr das
Gefühl nahm, ein dummes Mädchen zu sein, das nur ein paar Klassen Dorfschule
absolviert hatte. Ja, Ignacy Goldbaum hatte sein ganzes Leben als Arzt
gearbeitet und zukünftige Ärzte ausgebildet. Jetzt war er pensioniert und lebte
in einem kleinen Ort in Südkalifornien. Der Ort hieß Pasadena. In Amerika? In
Amerika, auf der anderen Seite des Meeres, Oma! Dominika kam Marek Czerwihski
zuvor. Er hat zwei erwachsene Söhne, David und Joshua, der eine ist auch Arzt
geworden, der andere Mathematiker. Die Tochter Ruth war die Jüngste, sie
studierte Astronomie. Wollte Zofia Fotos sehen? Mathematiker? Marek Czerwihski
blickte den Backfisch mit dem zu großen Kopf und dem Giraffenhals an und
begriff. Entschädigung - dieses Wort bekam Zofia aus dem weiteren Vortrag Marek
Czerwihskis mit, und ihr gesprenkeltes Gesicht wurde wieder so rot, dass die
Leberflecke verschwanden. Ich hab's nicht für ein Geld gemacht und werd nichts
nehmen, stieß sie hervor und schämte sich noch mehr, weil
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