Bator, Joanna
Phantasie nur ein Schritt zum
Gipfel, auf dem die Großmutter, deren Namen sie trug, eine schöne Adlige war,
die infolge von nicht näher erläuterten, jedoch tragischen Umständen romantischer
Natur an den dahergelaufenen Strak aus Brzezina verheiratet worden war. Mir ist
es ein wenig so ergangen wie deiner Urgroßmutter, der Müllerin seligen Andenkens,
seufzte Jadzia geheimnisvoll. Sie wurde dort wie eine Aussätzige behandelt, wie
Isaura verhöhnt, gekränkt, doch sie gab nicht klein bei. Wenn Jadzia der
Tochter aus ihrer Kindheit erzählte, kam Zofia fast nicht vor, denn das war
ihre einzige Möglichkeit, Rache zu nehmen. Jadzia gestand sich selbst nie ein,
dass sie auf die verspätete Liebe eifersüchtig war, die Zofia sich weit von ihr
entfernt bewahrt hatte und ganz der Enkeltochter schenkte. Für Jadzia reichte
es nicht, Zofia hatte ihre Tochter nicht liebgewinnen und die Jahre der
Ungeliebtheit nie mehr wettmachen können. Stefan, für den die Vergangenheit
ein in Angst- und Hungerattacken sich niederschlagender Alptraum war, hatte
seine vorwitzige Tochter aus seinem Nest vor dem Fernseher betrachtet und war
Fragen nach seiner Kindheit aus dem Weg gegangen. Wieder so eine Spinnerei?
fragte er. Hast du die Hausaufgaben gemacht? Mein Leben, das sind alles
Picassos und Schnickschnacks, dachte Dominika in den Worten der Mutter, die
manchmal in ihr Zimmer kam, auf gut Glück ein Buch in die Hand nahm und dann,
wenn sie weder Witkacys Malerei noch Stachuras Gedichten und noch viel weniger
dem Mathematikbuch etwas abgewinnen konnte, erklärte: Wie du dir darauf nur
einen Reim machen kannst, Kind, das sind doch alles Picassos und
Schnickschnacks! Brauchst du alle diese Bücher zum Lernen, oder ist das wieder
so eine Spinnerei? Im fernen Pasadena betrachtete Ignacy Goldbaum die Polaroidfotografie
von Dominika, und ihr erzählten seine Briefe eine Geschichte, die sich nicht
einmal Oma Haiina hätte ausdenken können.
Ignacy war nie
nach Warschau zurückgekehrt. Auf einem Weg, der ihm zu gleichen Teilen
Begegnungen mit anständigen Menschen und Schurken bescherte, die sich nicht
immer auf den ersten Blick voneinander unterscheiden ließen, gelangte er schon
wenige Monate nach seiner Trennung von Zofia in die Vereinigten Staaten. Nach
dem Krieg suchte er die Frau, die ihm das Leben gerettet hatte, doch seine
Briefe blieben unbeantwortet, und nach den Angaben den Roten Kreuzes waren in
der Gegend von Zalesie, Brzezina und Kocierzowa mindestens drei Zofia Maslaks
umgekommen, davon zwei in einem Alter, das auch auf seine Zofia hätte passen
können. Polen nach dem Krieg war kein Land, in dem er hätte leben wollen, und
das Vorkriegspolen gab es nicht mehr. Vom Haus der Tante Roissa war nur noch
ein Trümmerhaufen übrig, von ihrem Grab nicht mal eine Spur, andere Verwandte
waren vielleicht in einem Lampenschirm erhalten oder in einem Knäuel Haare,
hinter der Glasscheibe des Auschwitzer Museums nicht von anderen zu
unterscheiden. Zu guter Letzt schrieb Ignacy an Janek Kos. Ohne große Hoffnung
adressierte er den Umschlag an Janek Kos, Zalesie, doch schon einen Monat
später öffnete er einen Brief, der seine fehlerhaft mit Kopierstift gekritzelte
Anschrift trug. Jan Kos schrieb, Zofia lebe nicht mehr, sie sei in den letzten
Kriegswochen an Typhus gestorben. Da könne man nichts machen, ihm selbst gehe
es gut, was er auch ihm, Ignacy, wünsche, obwohl er sich für ein Land
entschieden habe, in dem die Arbeiterklasse ausgebeutet wurde. Mit dieser
Nachricht von Zofias Tod war auch der letzte Grund für eine Rückkehr
weggefallen. Ignacy schloss sein Medizinstudium ab, lernte seine Frau kennen
und hütete das Andenken an Zofia in dem Winkel seines Herzens, der seinem
ersten, wichtigsten, dem verlorenen Heimatland vorbehalten war. Ignacy
Goldbaums ältester Sohn David reiste nach Polen, seit seiner Kindheit hatte er
von diesem Land geträumt, verlockt von den Erinnerungen des Vaters wie ein
Fisch von einem glitzernden, ungenießbaren Köder. Er sollte Warschau sehen,
bevor er sein Studium begann, und seinem Vater eine Bestätigung seiner Erinnerungen
mitbringen. Je älter Ignacy wurde, desto schöner wurden diese Erinnerungen,
wucherten und drangen sogar dorthin, wo sie nicht hingehörten. Wenn Ignacy
sagte: Damals, früher, bevor ..., dann wussten die Kinder, dass er Polen
meinte, und sie nahmen an, dass er nach Polen zurückkehrte, wenn er mit
glasigen Augen vor der gehackten Leber saß, die er so gerne mochte, und
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