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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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Verwandten, mal um zu verschnaufen, mal um sich zu
beschweren und den einen oder anderen überholten Ärger hervorzukramen,
achmanhatsnichleicht, bittefüruns. Die Madonna blickte sie nur aus traurigen Augen
an, als wollte sie sagen: Ich will's versuchen, kann aber nichts versprechen,
meine Möglichkeiten sind begrenzt. Achmanhatsnichleicht, bittefüruns!
    Dominika saß im
Halbdunkel und zählte die Kerzen, die unter dem Bild brannten. Eine ungerade
Zahl bedeutete Pech, eine gerade Zahl Glück, denn Halbwüchsige und Erwachsene
glauben, dass Paar besser ist als Unpaar, ungeachtet der Offenkundigkeit, dass
die meisten Adams und Evas vom Ideal weit entfernt sind, und selbst wenn sie
sich diesem Ideal annähern wollten, nicht wüssten, in welche Richtung sie
gehen sollen. Deshalb zählte sie die Kerzen und teilte die Summe durch die
Menge der Frauen, die sich innerhalb der nächsten fünf Minuten vor dem Altar
hinknieten, und das Endergebnis beruhigte sie vorübergehend, weil es eine
Gültigkeit hatte wie wenige andere Dinge. Sie zählte die Greisinnen mit
Kopftuch und multiplizierte sie mit den Mohair-Baretten, addierte die Menge der
Tage bis zum Ende des Schuljahrs und teilte das Ergebnis durch die Anzahl der
Schritte vom Babel zur Schule und zog die Wurzel aus der Summe, die sich nach
der Addition mit der Quersumme des Todesdatums ihres Vaters ergab. Jedes Ergebnis,
von dessen Richtigkeit sie immer überzeugt war, beruhigte sie mit seiner
unerschütterlichen Gewissheit. Wenn Stefan noch lebte, könnte sie ihm jetzt
schwarz auf weiß zeigen, welche Wahrscheinlichkeit bestand, dass genau seine
sechs Nummern im Großen Lotto gezogen würden, und vielleicht würde er dann
sagen: Ach, hol's der Teufel, gehen wir ins Schwimmbad. Und er wäre nüchtern,
sodass sie ihn diesmal reinlassen würden, statt an der Türe zurückzuweichen
und so laut zu sagen, dass es auch hinten jeder hören konnte: Was für eine
Schande, betrunken mit dem Kind ins Schwimmbad zu kommen!
    Kaplan Adam
Wawrzyniak war es schon seit einiger Zeit aufgefallen, wie Dominika in Andacht
gebückt vor dem Madonnenbild saß und lautlos die Lippen bewegte, ein Anblick,
der seinen Glauben an die polnische Jugend stärkte, auch wenn er gerade wieder
Aufschriften wie »Jude raus« oder »Walbrzych, fick dich selbst« von den Mauern
des Pfarrhauses hatte abwaschen müssen. Die Arbeit mit den Jugendlichen war
Kaplan Adam am liebsten. In der Jugend liegt unsere Zukunft, sagte er den
Gemeindemitgliedern und seinen Vorgesetzten, die bestätigend nickten, ganz
richtig, ganz richtig, was gibt es Schöneres als die Jugend! Er war in Breslau
geboren und aufgewachsen, in einem alten, einstmals deutschen Mietshaus, dessen
Fenster auf die Oder hinausgingen. Der Fluss strömte groß und grau, an seinen
Ufern wurde Bier getrunken, geangelt, es gab Messerstechereien,
Vergewaltigungen und so weiter. Wenn der kleine Adas Wawrzyniak aus dem Fenster
auf den Fluss blickte, hatte er manchmal das Gefühl, das ganze Haus schwimme
wie das schöne Schiff Stefan Batory, das er einmal in einem Hafen an der
Ostsee gesehen hatte. Auf so einem Schiff könnte er nach Afrika fahren und
Missionar werden und dann dort, wie in Sienkiewiczs Wüste und Wildnis, an einem Fieber
sterben, trotz des bitteren Chinins, das er einnahm. Wie würden Papa und Mama
um ihn weinen, vor allem Mama, denn Papa würde dann vielleicht schon nicht mehr
leben. Die Schönheit des Blicks auf die Oder entschädigte nur bis zu einem
gewissen Grad für die Enge von Doktor Scheurens ehemaliger Wohnung, die in
vier Einheiten aufgeteilt worden war und von zwölf Personen unterschiedlichen
Geschlechts und Alters bewohnt wurde, die unterschiedliche Gewohnheiten hatten
und alle ihre Ansprüche auf die eine Küche und die eine ständig verstopfte
Toilette geltend machten.
    Adams Vater,
der Ingenieur Karol Wawrzyniak, liebte das Angeln über alles und hatte ein
Händchen dafür, was den Neid anderer weckte, die ebenfalls ihre Angelruten ins
Oderwasser tauchten. Jeden Sonntag brachte er einen Eimer voll klatschend
zuckender Geschöpfe nach Hause und ließ sich auch nicht von warnenden
Pressemeldungen abschrecken, in denen die Rede von Wasserverschmutzung und
Krankheiten war, die der Verzehr von Fischen mit ausgefransten Schuppen und
weißlich getrübten Augen mit sich bringen konnte. Er glaubte daran, dass Fisch
besser war als Schwein oder Rind. Zur Bekräftigung seiner Thesen zog er Zitate
aus der Bibel heran: Wo Jesus Fisch

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