Bator, Joanna
und Luftschlangen.
Dominika erscheint im Album zum ersten Mal in Gestalt von Jadzias Bauch
zwischen den klaffenden Schößen des Pepitamantels, dessen wahres Muster hier
auch nicht auszumachen ist, und auf der nächsten Seite, ganz dem erhabenen
Ereignis gewidmet, wird sie getauft: im spitzenbesetzten Steckkissen der
Klatschmohn ihres Gesichts. Auf der folgenden Serie von Geburtstagstorten mit
Zuckerrose nimmt dieses Gesicht allmählich menschliche Züge an und hat
unfehlbar immer das Mündchen gespitzt, um die wachsende Anzahl von Kerzen
auszublasen. Denk an was, was du dir wünschst, sagte Jadzia, und Stefan mit
dem Apparat Marke Smena schnipste mit den Fingern: Eins-zwei-drei, jetzt kommt
das Vögelchen, wobei es in ihm kribbelte vor soviel Glück, Hering und Süßigkeiten,
denn das war etwas, Heiligabend und Geburtstag auf einen Schlag! Nachdem
Dominika nach Piaskowa Göra geholt worden ist, vervollständigt Haiina nach und
nach die unabgeschlossene Geschichte der Grafen aus dem Zug mit Fotos ihrer
Angehörigen und kritzelt mit ihrer ungelenken Schrift Bildunterschriften dazu:
Jadzia und Stefan Silvester 1980, Wir alle Weihnachten 1981, Apitur (durchgestrichen
und verbessert zu: Abitur) von Dominika, Grazynka und ihr Deutschland 1989.
Nach ihrem Tod finden sie das Album in ein leinenes Geschirrtuch gewickelt, es
ist in makellosem Zustand und fast voll. Dominika klebt noch ein Foto von
Haiina dazu, darauf trägt sie einen Verband um den Hals und einen türkischen
Pullover mit Applikation, aus dem sie guckt, als sei sie zum ersten Mal in
ihrem Leben von ihrem eigenen Spiegelbild angenehm überrascht.
***
Das Haus auf Piaskowa Göra, in das
Herr und Frau Chmura gezogen sind, wird der Babel genannt. Es wird dekliniert
wie jedes andere Wort dieser Art auch, des Babels, dem Babel, den Babel, und
keiner weiß, wer sich diesen Babel ausgedacht hat. Im Modell von Piaskowa Göra
sah das größte Gebäude der Siedlung überhaupt nicht schlecht aus, vor allem
aber, Genossen: modern. Auf der Dachterrasse blühten Plastikblumen, und rings
herum wucherte üppig das Gras aus Resten grüner Auslegeware. Der ehrgeizige
junge Architekt redete von Begegnungsstätten für die Bewohner, von Müttern,
die mit ihren Kindern auf der Terrasse spazieren gingen, die alle gemeinsam
und in rotierender Verantwortung pflegen würden. Dort würden die
Arbeitergenossen nach der Arbeit zwischen den Blumenkästen sitzen und mit den
Nachbarn plaudern. Lauter anständige Leute, Kumpel, die Frauen der Kumpel, die
Kinder der Kumpel und ihre Kumpelfrauen, Arm in Arm mit Intellektuellen der
ersten Generation.
Die Liebe der Bewohner von
Piaskowa Göra war eine irrige Annahme, sowohl im Hinblick auf den Terrassengarten
als auch auf die Blumenkästen im Parterre, die aussahen wie große Betongräber,
die darauf warteten, mit Leichen gefüllt und mit einem Deckel geschlossen zu
werden. Die im Babel wohnhaften Kinder von Bauern konnten nur dann in der
Erde wühlen, wenn sie ihnen gehörte, so eine Erde, die sozusagen allen gehört,
ist Niemandserde und lohnt die Mühe nicht. Die Dachterrasse ist für Selbstmörder
und Drogensüchtige gut, die Blumenkästen für die Besitzer der Mimis und
Hektors, sie stehen in Pantoffeln am Hauseingang und warten, bis ihr mit den
Resten des Mittagessens gefütterter Liebling seinen Beitrag zum Haufen der
Kötteln und Kackhaufen geliefert hat, aus dem ein Schild mit der Aufschrift
ragt: Schone die Grünflächen. Auf Piaskowa Gora halten sich nur Pappeln, wilde
Dorfbäume, die stark sind wie Quecken.
Die Watteknäuel der Pappelsamen
sind eine Plage, sagen die Frauen vom Babel, davon juckt einem die Nase. Die
Männer schenken ihnen keine Aufmerksamkeit, ihre Aufmerksamkeit gilt schwereren
Dingen. Im Morgengrauen treten sie aus den Höhleneingängen und laufen herdenweise
zur Haltestelle, im Autobus zur Frühschicht wird mit Fäusten gekämpft, alles
ist Kampf um Leben und Lebensmittel. Die Frauen entfachen in den Höhlen die
häuslichen Herdfeuer, dass die Funken stieben. Danach dürfen sie sich zu den
aushäusigen Arbeiten begeben, die nicht ihre Bestimmung, jedoch unerlässlich
sind. In der neuen Wohnung auf dem Babel ist die Küche Jadzias unanfechtbares
Königreich, deshalb muss sie vor Stefan aufstehen, um ihm sein Frühstück für
die Arbeit zu machen. Die Küche ist nicht das Königreich des Mannes, und er
wäre nicht imstande, dort zu herrschen. Man lässt ihn höchstens zu, wenn es
darum geht, den Müll
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