BattleTech 04: Das Schwert und der Dolch
wieder das Gesicht des anderen Hanse vor sich. Unbewegt. Ausdruckslos. Unbenutzt.
20
Auf der anderen Seite der isolierten und doppelt verglasten Fenster in ihren eleganten Bögen tobte ein Schneesturm. Melissa Steiner saß auf dem gepolsterten Fensterbrett und blickte hinaus in das Unwetter. Von Zeit zu Zeit wischte eine Brise den Schneevorhang beiseite und ermöglichte ihr einen kurzen Blick von dem Gipfel, auf dem sich der bevorzugte Wohnsitz Haus Steiners erhob, zu den übrigen Bergen der Kette.
Melissa gefiel das stürmische Klima ihrer Heimatwelt. Der Anblick der fernen, sturmumtosten Klippen und Gipfel Tharkads und die Gebirgszüge kleinerer Berge mit ihren schweren weißen Kapuzen erfüllten sie mit unbändiger Freude. Sie hoffte, daß Ardan wach war und aus dem Fenster an seinem Bett blicken konnte. Sie erinnerte sich, daß auch er diesen Planeten liebte.
Bei dem Gedanken an ihren Gast verdunkelte sich ihr Gesicht. Vom ersten Moment an, in dem sie den schmucken jungen Offizier gesehen hatte, der Hanse Davions persönliche Garde führte, hatte sie ihn gemocht. Er hatte sie immer mit Respekt behandelt, aber gleichzeitig hatten die beiden sich auch eine verschwörerische Freude daraus gemacht, Streiche auszuhecken, die ihnen niemand anhängen konnte.
Wahrscheinlich lag das daran, daß niemand von dem Bücherwurm Melissa erwartete, daß sie sich mit solchen Albernheiten abgab. Ardan Sortek war der erste Mensch gewesen, der diese unterdrückte Seite ihres Wesens angezapft hatte. Als sie sich jetzt daran erinnerte, mußte sie lächeln, und ein plötzliches Verlangen unterdrücken, eine Dummheit zu machen.
Sie war jetzt fünfzehn, beinahe eine Frau, und zu alt, um sich mit Narreteien abzugeben. Aber sie war wirklich froh, daß Ardan zurückgekommen war. Der Winter auf Tharkad konnte lang und langweilig sein. Es war eine willkommene Abwechslung, ihre Zeit mit ihm verbringen zu können.
Das erinnerte sie daran, was sie auf ihrem Lesegerät hatte nachsehen wollen. Ardans Insistieren, einen Doppelgänger Hanses gesehen zu haben, hatte sie ungemein an jenen uralten Roman erinnert, den sie gelesen hatte. Melissa stand auf und ging hinüber an das Lesegerät, um die Computerdateien nach etwas zu diesem Thema zu befragen.
Sie tippte »Doppelgänger« ein und betätigte die Eingabetaste. Der Monitor fragte: Historisch? Sozial? Literarisch? Wirtschaftlich?
Das überraschte sie. Die Antwort des Computers schien darauf hinzudeuten, daß die menschliche Geschichte voll von derartigen Ereignissen war. Sie entschied sich, mit den literarischen Quellen zu beginnen, da es Der Gefangene von Zenda gewesen war, der sie überhaupt auf diesen Gedanken gebracht hatte. Eine Liste von Titeln und Autoren begann über den Schirm zu laufen.
Sie druckte die Titel aus, die ihr am interessantesten erschienen. Da waren Prinz und Bettelknabe. Der Mann in der eisernen Maske und eine Reihe anderer, die sie nicht kannte. Als nächstes rief Melissa die historischen Daten ab.
Auch das Ergebnis dieser Anfrage war eine Überraschung für sie. Geschehnisse dieser Art waren nicht auf längst vergangene Jahrhunderte beschränkt. Erst 2381 hatte ein Doppelgänger die Rolle des Elazar von Trimmerion so erfolgreich gespielt, daß sein Planet in einen Krieg stürzte, der beinahe sein Verhängnis geworden wäre. Der echte Elazar hatte sich nicht aus den Händen seiner Kerkermeister befreien können, bis es zu spät war, die Katastrophe zu verhindern.
Melissas graue Augen verengten sich. Die Lage unter den Herrscherhäusern der Nachfolgerstaaten war instabil geworden. Das Bündnis zwischen Davion und Steiner war sowohl für Kurita wie auch Liao ein gewaltiger Dorn im Fleisch. Dadurch war alles, was die geplante Union des Lyranischen Systems mit dem der Vereinigten Sonnen störte, für das Draconis-Kombinat und die Konföderation Capella von erheblichem Wert.
Sie las weiter. 2738 hatte einer der wichtigsten Verbündeten des Ersten Lords des Sternenbunds seine Politik plötzlich so drastisch verändert, daß dies die Entscheidungen mehrerer anderer Staaten beeinflußte, die später an den Nachfolgekriegen beteiligt waren. Erst nach seinem Tod hatte man erkannt, daß der Mann gar nicht Faillol Esteren gewesen war. Seine Fingerabdrücke waren natürlich so verändert worden, daß sie mit denen Esterens übereinstimmten, und sein Retinamuster war ähnlich genug, um die Sicherheitsanlagen zu täuschen. Aber die Autopsie erbrachte, daß der falsche Esteren
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