BattleTech 21: Kalkuliertes Risiko
dann schüttelte sie den Kopf. »Sehen Sie, genau da liegt das Problem. Wenn ich versuche, den Bericht etwas menschlicher zu formulieren, wird er unglaublich komisch. Wenn ich es aber nicht tue und den Zwischenfall klinisch behandle, sehe ich vor mir, wie meine Kollegen seine Krankengeschichte lesen und allesamt nachsehen, wie gut ich ihn wieder hinbekommen habe. Schlimm genug, daß er da gebissen worden ist, aber so wird er das Erlebnis jedesmal von neuem durchleben müssen, wann immer ihn ein Arzt untersucht.«
»Ich sehe das Problem.« Anne winkte sie beiseite und setzte sich an den Computer. »Sie müssen wie ein Arzt denken, der es eilig hat. Diagnose: Hundebiß. Verletzungen: Zwei Bisse, eine Rißwunde. Behandlung: Antibiotika und Nähen der Verletzungen – zwei Stiche pro Bißwunde, drei an der Rißwunde. Prognose: Keine Narben oder bleibenden Schäden.« Anne schlug auf die Eingabetaste, und der Krankenbericht verschwand vom Schirm.
Deirdre lächelte und rollte die Hände, um die Muskeln zu locken. »Gute Arbeit.«
»Danke.« Anne sah sie einen Moment an. »Ich hatte mal einen Freund, der das auch gemacht hat. Er trieb Kampfsport.«
»Hab ich früher auch gemacht. Zur Selbstverteidigung.«
Anne stand auf und ging zurück zum Holovidgerät. »Was haben Sie denn gemacht?«
»Aikido.«
»Craigs Leidenschaft war Kak Sul Wen. Wir haben uns kennengelernt, als er ein übles Geschwür von meinem Arm entfernte.«
Deirdre ging zu ihr hinüber und starrte ins leere Wartezimmer. Das Holovidgerät spiegelte sich im Fenster, aber sie konnte trotzdem in die dunkle Zürichnacht hinaussehen. »Er war Chirurg?«
»Nein. Das üble Geschwür war ein ehemaliger Freund, der Schwierigkeiten mit dem Wörtchen ›nein‹ hatte.« Anne seufzte. »Craig war ein netter Kerl. Wir hatten viel Spaß zusammen, aber eines Tages ist er einfach verschwunden.«
»Sie wissen nicht warum?«
Die brünette Schwester verzog das Gesicht und legte sich einen Pullover um die Schultern. »Eigentlich nicht. Er hat es mir nie erklärt, aber ich denke, es lag an meinem letzten Semester in der Schwesternschule. Ich habe eine Menge Zeit im Hospiz verbracht. Craig konnte sich nicht daran gewöhnen, wie sehr ich mich um sterbenskranke Patienten kümmerte. Ich weiß, unheilbare Krankheiten verunsichern viele Menschen, aber von Craig hatte ich erwartet, daß er das verkraften konnte.« Sie zuckte die Schultern. »Na, mein Liebesleben war jedenfalls eine Serie von Katastrophen.« Sie musterte Deirdre. »Und was ist aus Mr. Lear geworden?«
»Äh, ähem, also, es, ähem, gibt keinen Mr. Lear.«
Anne wurde rot. »Tut mir leid, ich werde aufdringlich.« Sie schlug sich mit dem Ballen der linken Hand an die Stirn. »In der Friedhofsschicht passiert mir das häufiger. Tut mir leid.«
Deirdre runzelte die Stirn. »Ich scheine kaum noch etwas anderes zu hören.« Sie klopfte Anne auf die Schulter. »Lear ist mein Mädchenname – mein Stiefvater hat mich adoptiert, als er meine Mutter heiratete. Davids Vater und ich haben uns im Clankrieg kennengelernt. Es hat nicht funktioniert. Er war ein guter Mann, aber jünger als ich, und wir hatten beide eine Karriere vor uns.«
»Ich verstehe.«
»Tatsächlich?« Deirdre schüttelte den Kopf. »Vielleicht können Sie es mir bei Gelegenheit erklären.«
Die Frage auf Anne Thompsons Lippen erstarb, als die Türen der Notaufnahme aufflogen. »Shangkou, shangkou!« rief einer der vier Zürs, die in den Raum stürzten. Zwischen sich trugen sie, zwei Mann an jeder Seite, eine dicke, flexible Matte aus einheimischen Fasern. Darauf lag ein Mann in der Uniform der örtlichen paramilitärischen Polizeitruppe.
Deirdre hob den Telefonhörer und preßte die Rundruftaste, während Anne loslief und eine Bahre von der Wand zog. »Ein Chirurg in die Notaufnahme, dringend!« Deirdre schlug den Hörer auf die Gabel und sprang über den Schreibtisch. Sie erreichte den Beamten, als er gerade von den Zürs auf die Bahre gehievt wurde.
Der Mann sah furchtbar aus. In seinem blauen Hemd waren drei Löcher, die wie schwarze Strudel in der Mitte eines immer größer werdenden blutroten Ozeans aussahen. Deirdre zog den Riemen des schwarzen Sam-Browne-Gurts von der rechten Schulter und riß das Hemd auf. Darunter fand sie eine schnell rot anlaufende Kevlarweste. Gut, vielleicht hat das Kevlar die Kugeln so stark abgebremst, daß sie beim Aufschlag auf die Knochen nicht zersplittert sind. Sie verdrängte das Schnattern der Zürs aus ihrem Bewußtsein und
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