BattleTech 24: Auge um Auge
Techs waren überrascht, als Cassie sie in fließendem Japanisch ansprach. Trotz ihres Geschlechts und ihres GaijinStatus verschaffte ihr das Ansehen. Ein Großteil der Bevölkerung Masamoris waren Japaner, zwar nicht der Herkunft, aber immer der Neigung nach, doch bei weitem nicht alle beherrschten die schwierige Sprache. Vertrautheit mit der Sprache des Hauses Kurita war im Kombinat ein Zeichen gehobener Klassenzugehörigkeit, und Cassie benutzte Mittelklasseformen. Die Arbeiter behandelten sie automatisch mit Respekt.
Hai, ja, sie hatten eine Montagegrube, die derzeit frei war. Hai, sie konnte sie benutzen. Sie fragten nicht, wozu, wohl aber ihre Augen.
Ihre Augen weiteten sich noch mehr, als sie ihre Sportschuhe auszog, in die Grube hinabglitt und mitten in der Schmiere, die ihr fast bis zu den Knöcheln ging, eine unverkennbare Kampfsporthaltung einnahm. Sie begann eine gelenkige Kata auszuführen und bewegte sich elegant auf dem schlüpfrig-rutschigen Grund, benutzte ihn manchmal regelrecht bei ihrem Schattenboxen. Eine Menschenmenge sammelte sich.
Schlauere Kampfsportmeister bildeten ihre Schüler in Gassen und Wäldern und Reisfeldern aus, nicht nur auf den hübschen tatarnzbedeckten Böden der Dojos. Man wurde schließlich selten mitten in offenen, hell erleuchteten Räumen angegriffen. Pentjak-silat ging noch einen Schritt weiter. Cassies Guru Johann hatte darauf bestanden, daß sie auf dem schwierigsten vorstellbaren Grund trainierte: mitten zwischen umgestürzten Möbeln und zerbrochenen Flaschen, in schienbeinhohem Schlamm, auf einem murmelbestreuten Gehweg, in Ölpfützen. Die meisten Kämpfer gieren nach sicherem Stand wie ein Süchtiger nach seiner Droge, hatte der Guru zu ihr gesagt. Die Vorurteile und Begierden deines Gegners gehören zu deinen mächtigsten Waffen. Nutze sie.
Wenn ich mich jetzt noch ausziehen könnte, dachte Cassie, als sie in den dicken petrochemischen Schlick trat, um mit der Übung des harimau, den bodennahen Tigerformen des pentjak-silat, zu beginnen. Aber ich mache Don Carlos nur das Leben schwer, wenn ich die Spießer zu sehr erschrecke.
Sie bückte sich aus der Hüfte, bis sie ausgestreckt war, Arme und Beine weit gespreizt, ihr flacher Bauch einen Zentimeter über dem Öl und der Schmiere. Da riefen die Zuschauer »ooh« und »aah«, aber für Cassie war die Außenwelt verschwunden. Herzschlag und Atmung hatten sich verlangsamt und waren gleichmäßig, und für kurze Zeit fand sie wieder Frieden.
12
Masamori, Hachiman
Distrikt Galedon, Draconis-Kombinat
2. September 3056
»Was also wollen Sie, junge Frau?« fragte Leutenient-Kolonel Gordon Baird. Er war zwar auf einer Ranch auf Galisteo geboren, aber in Johnson City aufgewachsen. Sein Akzent war der eines Asphaltcowboys, nicht viel anders als der jedes anderen Gringos von den Freien Welten, aber seine Stimme nahm einen häßlichen, gereizt nölenden Tonfall an, wenn er zeigen wollte, daß etwas noch unterhalb seiner Verachtung lag.
Cassie hörte ihn oft.
»Die Erlaubnis, meine Arbeit zu tun, Kolonel«, sagte sie schlicht. »Ihre Arbeit.« Er sah sich unter den Bataillons- und Kompaniekommandanten um, die jetzt im Besprechungszimmer in den Eingeweiden der Zitadelle versammelt waren. »Ihre Aufgabe, so wie ich sie verstehe, ist es, unbekanntes Gelände zu erkunden und zu berichten, was Sie herausgefunden haben. Verbessern Sie mich, wenn ich mich irre, aber wir befinden uns derzeit mitten in einer großen Stadt, oder? Ich sehe weder Buschwerk noch Sumpfgelände, das Sie erkunden könnten.«
»So verstehen Sie meine Aufgabe«, entgegnete sie.
Baird versteifte sich. Na schön, ich habe mich also so lange zusammengenommen, wie ich konnte, dachte er.
Don Carlos saß am Kopfende des Tischs, das Kinn war ihm auf die Brust gesunken. Er schien nicht zuzuhören, aber Cassie glaubte, daß er es doch tat. Vielleicht, weil sie es glauben mußte.
»Meine Aufgabe ist es, die Umgebung des Regiments zu beobachten, wo immer wir auch sein mögen. Nur weil wir mitten unter Leuten und zwischen großen hohen Gebäuden statt Bäumen, Blumen und zwitschernden Vögeln sind, heißt das noch lange nicht, daß wir uns urplötzlich in einem Vakuum befinden. Weit gefehlt.«
»Aber was soll das?« fragte Kapitän Angela Torres. Sie war Kommandantin der Frontera-Kompanie, Rufzeichen Eitelkeit. »Sie wollen unsere Situation erfassen? Wir sind von culebras umgeben.« Das war das Wort für ›Schlangen‹, alter Einheitsslang für das
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