BattleTech 24: Auge um Auge
Ihre Robe, kobaltblau mit dunkelblauen Verzierungen, schmiegte sich um eine schlanke, aber definitiv sehr annehmbare Figur und war typisch für das, was ein Mädchen vom Lande kaufen mochte, um es beim ersten Mal in der großen Stadt zu tragen. Was ein Bauernlackel für modisch, aber nicht zu gewagt halten mochte.
Der Mann kniete neben ihr nieder. Er legte ihr fast die Hand aufs Knie, schaffte es aber irgendwie, dem Impuls zu widerstehen. Er war groß und blond und unansehnlich und jünger, als er wirken wollte.
Der Straßenmarkt floß um sie herum wie ein Fluß. Anmutige Frauen balancierten Obstkörbe und Geflügelkisten auf dem Kopf. Männer priesen Waren aus Behältern an, die an Tragestangen auf ihren Schultern gebunden waren. Es war eine Seite Masamoris, die einem Fremden unpassend erscheinen mochte, diese Dorfmarktbetriebsamkeit im Schatten hundertstöckiger Bronzetürme. Aber sie war ein ebenso lebenswichtiger Bestandteil der Stadt wie die Maglev-U-Bahnen und die glitzernden Nachtclubs.
Es war auch ein Bereich, den die Freundlichen Berater nicht gerne betraten. Nicht einmal paarweise.
»Komm schon, Fräuleinchen«, sagte der blonde junge Mann. »Warum weinst du denn so?«
Das Mädchen hielt inne und sah ihn an. Das Mascara war ihr über die Wangen gelaufen. Der Effekt wäre komisch gewesen, wenn sie nicht ganz so goldig gewesen wäre, mit ihren ziselierten mahagonifarbenen Zügen und den schrägstehenden rauchgrauen Augen.
»Ich… ich komme von einer abgelegenen Welt«, sagte sie, und ihre Worte wurden von den Schluchzern so verfremdet, daß sie genauso gut irgendeine exotische Sprache hätte sprechen können. »Von Kawabe in der Präfektur Matsuida. Ich habe all mein Geld verbraucht, um herzukommen und bei meiner Tante zu bleiben, weil sie krank war. Und dann kam ich her und mußte feststellen, daß sie tot ist, und jetzt hat jemand meine Tasche gestohlen, und meine Papiere sind weg, und annhh…«
Das Schluchzen übermannte sie. Sie vergrub ihr Gesicht in seinem Bizeps. Ungeschickt tätschelte er ihr den Rücken und wurde sich der glatten, schweißnassen Haut bewußt, die über dem Kragen ihrer Robe bloßlag, und der Art, wie das Kleidungsstück ihren Körper umschmeichelte, der an seinen gedrückt zitterte. Irgendwie war es ihm egal, daß ihre Schminke sein Jackett beschmutzte, Farbtupfer auf weißem Hintergrund.
»Na, na«, sagte er. »Es ist ganz bestimmt gar nicht so schlimm.«
»Aber ich habe kein Geld und keine Bleibe und kann nicht einmal arbeiten, wenn ich keine Papiere habe!« Sie hatte den Kopf gehoben, um tief Luft zu holen, dann stieß sie sie in einem wirren Wortschwall wieder aus. Sie holte erneut Luft wie ein Schwimmer, der an den Strand gespült wird, nachdem er beinahe ertrunken war. »Ich weiß nicht, was ich tun soll!«
Im Geiste des Mannes im Sportjackett begann ein Gedanke Gestalt anzunehmen. Er schob mit dem Daumen seine Kappe mit dem knickbaren Schirm aus der Stirn. »Nun«, sagte er und dehnte das Wort sehr lang, »man braucht nicht immer Papiere zum Arbeiten.«
Sie hob den Kopf und sah ihn an. Ein weiteres Schluchzen durchzuckte sie wie ein Erdbeben. »Aber die Polizei…«
Er kicherte. »Die Polizei weiß auch nicht alles. Viele Dinge will die Polizei nicht einmal wissen.«
Sie starrte ihn praktisch mit offenem Mund an. Sie war wirklich ein totales Landei, und was konnte man bei einem Fleck in der Pampa wie Kawabe auch anderes erwarten? Aber trotzdem sah das Mädchen wirklich beeindruckend aus.
Plötzlich sprang sie auf und versuchte davonzulaufen. Er packte sie am Arm. »Du bist ein Agent der ISA«, sagte sie und versuchte sich loszumachen. »Du willst mir eine Falle stellen. Ich weiß es!«
Er warf den Kopf zurück und lachte, wobei er allerdings darauf achtete, seinen Griff nicht zu lockern. »Kleines Vögelchen, du siehst zu viele Holovids. Ich gehöre nicht zum Atem des Drachen – bin nicht einmal ein Freundlicher Berater. Ich habe aber Verbindungen. Komm, setz dich. Die Leute starren uns an.«
Die Leute starrten sie nicht an – in den verschlungenen Nebenstraßen Masamoris empfahl es sich nicht, irgendwo zu genau hinzuschauen -, aber das Mädchen ließ zu, daß es wieder in eine sitzende Position auf der Kiste gebracht wurde. Ihre Bewohnerin schüttelte die Flügel und gackerte vor sich hin, verstimmt, weil ihre Zornesschreie nicht beachtet wurden.
»Mein Name ist Peter«, sagte er. »Und deiner?«
»M-Mitsuko.«
»Na also, Mitsuko.« Er legte ihr die Hand unters Kinn.
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