BattleTech 25: Die Kriegerkaste
Melissa Steiners praktisch ohne Stimme war.
Sie hatte das lyranische Volk bezaubert, und es glaubte ihr. Sie hatte auch Galen Cox bezaubert. Sie hatte die beiden Ärzte bezaubert, und sie würde jeden bezaubern. Eigentlich konnte ihr niemand widerstehen, und wenn es doch jemandem gelang, würde sie einen anderen Weg finden müssen, um mit ihm fertig zu werden.
So wie sie einen Weg finden mußte, mit Victor fertig zu werden.
Victor hatte auf ihren Charme nie angesprochen. Wie jeder ältere Bruder fand er das Verhalten seiner Schwester in der Regel nur störend. Obwohl er bloß zweieinhalb Jahre älter war als sie, hatte er sie bis vor kurzem als oberflächlich abgetan und ignoriert. Und selbst seit sich das geändert hatte, sah er in ihr nur eine Waffe gegen Ryan, ein Schwert, das er ins Herz der rebellierenden Isle of Skye stoßen konnte.
Wer durch das Schwert lebt, wird durch das Schwert umkommen.
Katrina fragte sich, ob Victor eigentlich klar war, was er tat. Sie hatte sich mit den beiden Doktoren über Leukämie unterhalten und ein paar interessante Tatsachen erfahren. Obwohl Blutkrebs leicht zu Schwellungen im Gehirn führen konnte und auch Blutungen und Prellungen häufiger wurden als normal, weil die Anämie die Gerinnungsfähigkeit des Blutes senkte, führte Leukämie nicht zu Schlaganfällen. Was sie den Ärzten nicht gesagt hatte, war, daß sie vor knapp einem Jahr unter strengster Geheimhaltung informiert worden war, daß Joshua Marik einen Schlaganfall erlitten habe. Der Anfall sollte sein Gedächtnis und seine Stimme in Mitleidenschaft gezogen haben, allerdings sei er bereits wieder rapide auf dem Weg zur Besserung. Dahingegen hatten Dr. Price und Dr. Wu betont, daß sich niemand so schnell von Leukämie erholte, außer durch eine plötzliche Wunderheilung.
Als die Doktoren den Raum verlassen hatten und die Tür hinter ihnen ins Schloß gefallen war, setzte Katrina sich auf die weiße Ledercouch, und ihre blauen Augen wurden zu Schlitzen, als sie an Joshua Marik dachte. Der Schlaganfall war ein hübscher Deckmantel, falls Victor versuchte, was sie vermutete. Natürlich konnte das nicht sein Plan sein. Wahrscheinlich stammte er noch von ihrem Vater. Victor war zu weich für das, was nötig war, um einen Doppelgänger Joshua Mariks zu erschaffen.
In Gedanken kehrte sie zurück zu einem stürmischen Oktobertag im Palast auf Tharkad. Ihre Mutter war an jenem Morgen seltsam still gewesen, und instinktiv hatte Katrina gespürt, daß Melissa jemand brauchte, der ihr zuhörte. Sie war ihr durch den Palast gefolgt, und als Melissa sich für einen Ausflug ins Freie eingemummt hatte, hatte Katrina sich ihr wortlos angeschlossen. Melissa hatte es mit einem Lächeln quittiert, und sie waren ohne Fanfaren oder Eskorte hinaus in die vereiste Stadt gefahren.
Der Fahrer hatte sie zu einem kleinen Friedhof gebracht, auf dem die 24. Lyranische Garde ihre Toten beisetzte. Dort hatte Melissa ihre Tochter an ein Grab geführt. Nachdem sie den Schnee beiseite geräumt und Blumen auf das Grab Jeana Clays gelegt hatten, war Melissa für ein stilles Gebet niedergekniet. Tränen hatten auf dem Gesicht ihrer Mutter gestanden, und Katrina hatte sie fest umklammert. Dann waren sie zurück zum Wagen gegangen und schweigend zurück in den Palast gefahren.
Am nächsten Tag hatte Melissa ihrer Tochter von Jeany Clay erzählt, die in der Zeit, bevor Melissa Steiner Hanse Davion geheiratet hatte, als ihr Double fungiert hatte. Nach der Hochzeit hatte Jeany Melissas Platz auf Tharkad eingenommen, während Melissa bei ihrem Gemahl auf New Avalen blieb. Bei Ausbruch des Vierten Nachfolgekrieges hatten die Skye-Separatisten – schon damals eine Plage – versucht, Archon Katrina Steiner und Melissa zu ermorden. Jeana hatte das Komplott entdeckt und die Attentäter getötet, aber dabei selbst das Leben verloren.
Ohne die Erinnerung an diese Geschichte und die Mahnung an ihre eigene Sterblichkeit bei der Explosion, die Galen getötet hatte, wäre ihr der Gedanke, sich ein Double zuzulegen, nie gekommen, und auch das Problem mit Joshuas Schlaganfall wäre ihr nicht aufgefallen. Und sie konnte sich nicht sicher sein, daß die Verwendung des Begriffs »Schlaganfall« nur eine Nachlässigkeit von seiten des Geheimdienstsekretariats gewesen war. Eines jedenfalls wußte Katrina genau: Wenn sie sowohl Joshua selbst als auch einen Doppelgänger für ihn gehabt hätte und Joshua im Sterben lag, hätte sie nicht gezögert, die beiden auszutauschen, um
Weitere Kostenlose Bücher