BattleTech 29: Pflichtübung
Stunden nach Folkers Film von den Kämpfen an der Zitadelle hatte er sich kaum noch unter Kontrolle gehabt. Er wußte selbst nicht, wie es ihm gelang, nach außenhin die Ruhe zu bewahren, obwohl es seine ganze Kraft gekostet hatte, Kellen Folker nicht auf der Stelle niederzuschlagen. Inzwischen war Grayson aber zu mehreren Schlüssen gekommen.
Erstens: Die Tatsache, daß er einen Mann in einem dem Nighthawk ähnelnden Krötenpanzer gesehen hatte, der im Sprung abgeschossen worden und in die Schlucht gestürzt war, bedeutete nicht notwendigerweise, daß es sich dabei um Davis McCall oder seinen Sohn handeln mußte. Es konnte auch jemand anderes gewesen sein.
Zweitens: Die Tatsache, daß die betreffende Person nach dem Treffer in die Schlucht gestürzt war, bedeutete nicht notwendigerweise ihren Tod. Aus dem kurzen Film ließ sich nicht feststellen, wie tief er die Schlucht hinabging, und Nighthawk-Anzüge waren erstaunlich robust.
Drittens: Grayson traute Folker nicht – nicht, wenn der Mann als Repräsentant einer Regierung auftrat, die es ganz deutlich vorzog, alle Informationen über sich zu kontrollieren, um die eigene Bevölkerung umso besser dirigieren zu können. Außerdem hatte Folker eine aalglatte Art, die Grayson übel aufstieß, und es bereitete ihm keinerlei Schwierigkeiten zu glauben, daß der Mann die gesamte Videosequenz arrangiert oder gefälscht hatte.
Wozu? Grayson war sich noch nicht sicher, aber er gewann den Eindruck, daß Folker versuchte, ihn und den Grauen Tod mö glichst eng an Wilmarth und dessen Herrschaft über Caledonia zu binden. Statt mit der Fähre nach Caledonia zurückzukehren, war Folker an Bord der Endeavour geblieben, wo er einen Großteil der letzten fünf Tage mit dem Versuch zugebracht hatte, Grayson davon zu überzeugen, daß die Jakobiten/Jihadisten-Rebellion das Werk von Anarchisten, Feinden des Verwalters und Feinden des Vereinigten Commonwealth darstellte.
Die Legion, darauf hatte Folker bestanden, war eine von zwei zur Friedenssicherung hierher abkommandierten Mecheinheiten – ein Zeichen, so behauptete er, für die Bedeutung dieser Welt für das Vereinigte Commonwealth. Er hatte mehrere Speicherkarten mit Hunderten Gigabytes an Daten mitgebracht, mit detaillierten Einsatzbefehlen für die Legion, die vom Raumhafen New Edinburgh ausschwärmen, die Stadt sichern und das Kriegsrecht ausrufen sollte. Bei der zweiten Einheit sollte es sich laut Folker um ein Bataillon der 3. Davion Guards handeln, das zur Zeit auf dem benachbarten Hesperus II stationiert war, aber in Kürze im System eintreffen und entweder in New Edinburgh oder weiter nördlich in Stirling eingesetzt werden sollte.
Grayson hatte im letzten Teil des Anflugs auf Caledonia intensiv über die Situation nachgedacht. Er befand sich politisch und ethisch in einer verteufelt heiklen Lage. Als Baron von Glengarry schuldete er seine erste Gefolgschaft Victor Davion, dem Prinzen und Herrscher des Vereinigten Commonwealth. Dieser Adelstitel bedeutete ihm jedoch nicht allzuviel. Sein Leben und sein Lebenswerk war die Legion.
Was seine Gefolgschaft als Söldner betraf, so hatte diese schon vor Jahrzehnten das Haus Steiner erworben. Und auch wenn Söldnereinheiten nicht unbedingt einem einzelnen Auftraggeber loyal verbunden blieben – im Gegenteil, so etwas war eine Seltenheit – lagen Grayson Death Carlyles politische Sympathien sehr viel deutlicher beim Haus Steiner als bei irgendeinem anderen großen Haus der Inneren Sphäre. Die meisten Veteranen aus der Frühzeit der Legion stammten aus dem Lyranischen Commonwealth, auch Grayson selbst, und die Einheit war auf einer Steiner-Welt, Trell I, gegründet worden. Ihren jetzigen Kontrakt hatte die Legion mit Katrina Steiner abgeschlossen, noch bevor sie zugunsten ihrer Tochter Melissa zurückgetreten war. Er hatte niemals offiziell einen Kontrakt mit dem Haus Davion oder dem Vereinigten Commonwealth unterschrieben und teilte die Ernüchterung vieler Lyraner über die Betonung von Davion-Traditionen in der Allianz dieser beiden großen Sternenreiche. Prinz Victor regierte derzeit von New Avalon aus und schien mehr an der Erhaltung seiner Macht als an der Fairness all seinen Untertanen gegenüber interessiert zu sein.
Aber ganz abgesehen von den politischen Aspekten dieser Angelegenheit konnte Grayson es nicht leiden, wenn Machthaber – gewohnt, ihren Willen durchzusetzen – versuchten, die Gray Death Legion für ihre politischen Zwecke zu gebrauchen. In der
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