BattleTech 36: Blindpartie
darauf, diesen Wertvorstellungen bei jedem Besuch soweit nachzukommen, wie sie konnte.
Das private Wohnzimmer der Magestrix ähnelte der formellen Audienzkammer im Haupthaus der Residenz, aber der beherrschende Punkt dieses Raums war nicht der Platz der Magestrix. Hier war das Mobiliar so arrangiert, daß es den Blick auf einen großen Kamin lenkte, in dem ein offenes Feuer prasselte, das den Raum mit dem schwachen, aber angenehmen Duft von Zedernholz erfüllte. Zu beiden Seiten des Kamins standen exquisite Marmorstatuen. Jamie hatte lange genug im Magistrat Canopus verbracht, um sie ohne Schwierigkeiten als Darstellungen von Adonis und Aphrodite zu erkennen, altehrwürdige Verkörperungen der Schönheit und Liebe. Ihre Haltung war so natürlich und erhaben wie bei Skulpturen des antiken terranischen Griechenland.
»Hallo, Jamie.«
Die Worte wurden mit eleganter, tiefer Altstimme gesprochen, und Jamie drehte sich zur anderen Tür des Zimmers, um Magestrix Emma Centrella zu begrüßen, die in Begleitung ihrer beiden ältesten Töchter hereinkam. Die Magestrix trug eine formelle Robe, die dunkelblaue Seide mit einer trägerfreien, am Körper anliegenden goldenen Brustplatte kombinierte. Eine ebenfalls goldene, mit Saphiren besetzte Tiara hielt ihr das dunkle Haar aus dem Gesicht. Ihre dunkle Haut, die vollen Lippen und die großen grauen Augen verliehen ihr ein in gewissem Maße exotisches Aussehen. Auch mit Ende Fünfzig besaß Emma Centrella noch die sinnliche Schönheit, die ihre Gegenüber an den Ruf des Magistrats als Vergnügungsort erinnerte. »Schön, dich wiederzusehen«, sagte sie, und ihre Augen drückten zugleich Wärme und Entschlossenheit aus.
Die Demipräzentorin nahm die Begrüßung mit einem Lächeln entgegen und erinnerte sich, daß Emma Centrella in jüngeren Jahren eine MechKriegerin von beachtlichem Können gewesen war. Das ist keine Frau, die leere Komplimente macht. »Sie und Ihre Töchter sehen prächtig aus, Magestrix«, stellte sie fest und bewunderte die edlen Züge, die Danai und Naomi mit ihrer Mutter teilten. Beide trugen Abendkleider. Naomis entsprach der neuesten canopischen Mode, war in weichen Farben gehalten und mit Pailletten besetzt, während Danai eine wagemutigere Kombination aus Türkis und Schwarz mit hohen Seitenschlitzen und tiefem Rückenausschnitt trug. »Störe ich?«
Emma Centrella winkte Jamie zu einem Platz auf dem dickgepolsterten Sofa. »Meine Töchter wollen ausgehen, aber etwas Zeit haben sie noch.« Sie ließ sich in einem halbmondförmigen Sessel links neben dem Sofa nieder und zog in einer entschieden neugierigen Pose die Beine unter den Körper. »Und die Nachricht schien eine gewisse Bedeutung zu haben.«
Jamie nahm Platz und legte das Liao-Päckchen auf den kleinen Tisch zwischen dem Sofa und dem Sessel der Magestrix. Danai, mit einundzwanzig Jahren Emmas älteste Tochter und die momentane Favoritin auf deren Nachfolge, saß rechts von Jamie. Naomi, dem neuen Blakes-Wort-Profil nach neunzehn, war am weitesten entfernt. Sie kniete auf dem Boden, den Rücken an den Sofarand gelehnt.
Jamie runzelte andeutungsweise die Stirn in Richtung des Päckchens, eine Geste, von der sie sicher wußte, daß Magestrix sie bemerken würde. »Ich denke, die hat sie, Magestrix, oder ich hätte Sie so spät nicht mehr gestört. Dieses Päckchen wurde Blakes Wort auf der capellanischen Zentralwelt Sian anvertraut, mit der Anweisung, es Ihnen so schnell wie möglich zu überbringen. Es kommt von Sun-Tzu Liao. Wir haben die notwendigen Prüfungen durchgeführt, um sicherzustellen, daß es keine Gefahr darstellt, ebenso wie Ihre Leute es getan haben, als ich damit ankam.«
»Und was meinst du enthält es, Jamie?«
Emma Centrella war eine viel zu gewiefte Diplomatin, um selbst bei einer so formlosen Begegnung mit ihrer Mimik irgend etwas von ihren Gedanken zu verraten, aber Jamie bemerkte den leisen Unterton von Neugier in der Stimme der anderen Frau. Verständlich. Die meisten diplomatischen Botschaften wurden ComStar oder Blakes Wort zur HPG-Übermittlung anvertraut, die eine Vidbotschaft in fünf bis zehn Tagen von Sian nach Canopus IV gebracht hätte, als entsprechend teurere Prioritätsbotschaft sogar innerhalb eines Tages. Aber Sun-Tzu hatte die Mühe und die Kosten auf sich genommen, eine Diplomatensendung zu schnüren, die per Kurier über eine Strecke von Sprung- und Landungsschiffen bis hierher zur Magestrix befördert werden mußte. Das hatte knapp einen Monat gedauert
Weitere Kostenlose Bücher