BattleTech 44: Falke im Aufwind
müssen. Und beinahe war sie das auch. Aber es stand ihr noch eine Entscheidung bevor, eine Entscheidung, die ihr nicht besonders behagte und die sie zwang, ihre Rolle als Khanin ernsthaft zu überdenken.
Es ging um den dickköpfigen Armbrust Piloten, den sie am Tag zuvor besiegt hatte. Marthe war auf das Schlachtfeld zurückgekehrt, auf dem der Mech immer noch lag, und hatte erfahren, daß der Pilot die Kanzel noch immer nicht verlassen hatte, obwohl die Schlacht seit vielen Stunden vorüber war. Die Jadefalken hatten so viele Verwundete zu beklagen, daß noch niemand Zeit gehabt hatte, sich um den Krieger zu kümmern. Marthe kletterte auf den Rumpf der Armbrust und riß die Einstiegsluke der Pilotenkanzel auf.
»Stahlvipern-Krieger«, rief sie in die Dunkelheit. »Bist du bei Bewußtsein?«
Keine Antwort.
»Wenn du noch lebst, helfen wir dir. Lebst du?«
Die Frage ließ den Piloten kurz auflachen.
»Siehst du?« stellte sie fest. »Du schaffst es nicht, ganz stumm zu bleiben. Brauchst du Hilfe?«
»Wenn du versuchst, mein Cockpit zu betreten, töte ich dich.« Es war eine weibliche Stimme.
Marthe, deren Hand bereits auf dem Griff des Messers in ihrem Gürtel lag, grinste. Sie dachte nicht daran, ein gegnerisches Cockpit unbewaffnet zu betreten. »Wenn du nicht in der Lage bist auszusteigen, kann ich Techs rufen, die...«
»Ich werde keinem Tech gestatten, mich anzufassen. Ich kann mich bewegen. Ich bin nur leicht verletzt. Ich bin nur noch nicht bereit, auszusteigen. Ich komme heraus, wenn es Nacht wird.«
Die Stimme klang vertraut.
»Gib dich zu erkennen, Stahlviper.«
»Es überrascht mich, daß du nicht weiß, wer ich bin auch wenn es einige Zeit her ist, daß wir uns unterhalten haben.«
»Natalie Breen?«
Breens Lachen bestätigte Marthes Vermutung.
»Ich wußte nicht, daß du unter den StahlviperTruppen warst.«
»Nur wenige Stahlviper-Truppen wußten von meiner Anwesenheit. Ich war der Einheit des Khans zugeteilt, und niemand stellte Fragen. Außer im Kampf hielt ich mich im Hintergrund. Über Funk hätte jemand meine Stimme erkennen können, deshalb sprach ich nicht. Du hast gut gekämpft, Marthe Pryde. Ich bin froh, daß es wenigstens eine Khanin war, die meine Schande vergrößert hat. Möglicherweise bleibe ich in diesem Cockpit, bis ich sterbe.«
»Wenn nötig, zerren wir dich heraus.«
»Nein. Ich komme freiwillig. Laß eine Wache hier, die mich dann zu dir bringen kann. Oh, und achte darauf, daß es ein Wahrgeborener ist, keine der Freigeburten, die dir so am Herzen liegen.«
Eigentlich hätte Marthe diejenige sein sollen, die Bedingungen stellte, aber sie fügte sich in Natalies Wünsche. Khaninnen sollten einander respektieren , dachte sie, selbst wenn eine von ihnen ihr Amt niedergelegt hatte. Und es anderen unnötig schwer machte, ihr den Respekt zu erweisen, den sie verdient hatte.
Die Frage des angemessenen Respekts beschäftigte Marthe noch, als sie in ihrem Feld-HQ auf Natalie Breen wartete. Während sie über das bevorstehende Gespräch nachdachte, ärgerte sie sich über den muffigfeuchten Gestank, der mit den anderen abstoßenden Gerüchen des Schlachtfelds in das Kuppelzelt drang und ihr das Atmen schwer machte.
Natalie Breen betrat mit verkniffenen Augen das Zelt. Das helle Licht im Innern schien ihr Probleme zu machen, besonders nach der Dunkelheit des wolkenverhangenen Abendhimmels. Sie rieb sich die Augen.
»Stört das Licht dich, Natalie Breen?« fragte Marthe.
»Etwas. Ich ... mag helles Licht nicht.«
Marthe dämpfte es.
»Wir sind uns ähnlich, Marthe Pryde«, stellte Natalie plötzlich fest. »Abgesehen davon natürlich, daß Sie eine siegreiche Khanin sind und ich eine entehrte ehemalige Khanin bin.«
Marthe bemerkte, daß die Stahlviper diese Feststellung nüchtern und ohne die geringste Spur von Selbstmitleid machte.
»Möglicherweise erscheint dir das seltsam, Natalie Breen, aber in meinen Augen bist du keineswegs entehrt. Es stimmt, als Khanin der Stahlvipern hast du deinen Kriegern befohlen, sich von Tukayyid zurückzuziehen, aber hättest du diese Entscheidung nicht getroffen, hätte es das Ende der Vipern bedeuten können. Dein Clan konnte sich nach Tukayyid nur erholen, weil genug Krieger überlebt hatten. Es ist Perigard Zalman, der sich hier wirklich entehrt hat.«
Natalies Augen weiteten sich kurz. Sie schien protestieren zu wollen, aber dann schloß sie die Augen und sagte in ruhigem Ton: »Sie gehen zu weit, Marthe Pryde. Als Siegerin haben Sie das Recht dazu, aber
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