BattleTech 47: Die Spitze des Dolches
würden?«
Kyle schluckte die wütende Antwort darauf hinunter, was die Medien Milos' mit ihren an den Haaren herbeigezogenen Lügengeschichten machen konnten, die ihm auf der Zunge lag. Stattdessen sagte er nur: »Ja, Sir.« Dann hob er in der Andeutung eines Saluts die Hand zur Stirn, drehte auf dem Absatz um und stampfte aus dem Zimmer.
»Und, Boss?« Lieutenant Chatham Siwula, Kyles Stellvertreter, wartete auf dem Gang.
»Nichts zu machen, Chat«, antwortete Kyle mit leiser, wütender Stimme. »Colonel Calvin lässt uns nicht raus, weil der General Angst hat, wie die Medien reagieren könnten, wenn man uns erwischt.«
»Was, zum Teufel, ist bloß aus Amis geworden?«, fragte Siwula. »Der war doch früher ein richtiger Draufgänger. Und jetzt? Plötzlich ist er zum Politiker mutiert?«
»Vorsicht, Lieutenant!«, knurrte Kyle. »General Amis ist immer noch der Beste seines Fachs. Er weiß genau, dass die Politiker die ganze Einheit baumeln lassen, wenn er uns den Befehl erteilt auszurücken, und wir versagen und lassen uns erwischen, nicht nur uns paar Männeken. Womöglich entscheiden die ›hohen Herren‹ dann sogar, dass das mit dem Sternenbund doch keine so gute Idee war, und die ganze Chose fällt in sich zusammen. Und dann was? He? Dann stecken wir in einer neuen Runde der Nachfolgekriege, und womöglich werden wir tatsächlich zu den Barbaren, für die uns die Clanner halten. Dann wäre die ganze Operation Schlange für die Katz gewesen, nicht mehr als Augenwischerei, und all die Toten von Diana wären für nichts gefallen. Die Politiker können Sie gerne anzweifeln. Das Oberkommando der SBVS dürfen Sie anzweifeln. Sie dürfen selbst mich anzweifeln. Aber, bei Gott, zweifeln Sie nie wieder General Amis an. Verstanden?«
Siwula schreckte zurück und starrte seinen Vorgesetzten an. Sein Unterkiefer hing herab wie eine aus den Angeln gerissene Cockpitluke. Kyle sah den Schock und die Überraschung im Gesicht seines Stellvertreters und fühlte es ihm ein wenig nach. Siwula war als Transferoffizier vom 22. DieronRegiment zur Leichten Reiterei gestoßen. Trotz des guten Rufs und der etablierten Tradition des Bushido seiner früheren Einheit hatte nichts den Mann auf die absolute Hingabe und Loyalität vorbereiten können, die Mitglieder der Leichten Reiterei für die Einheit und ihre Kommandeure empfanden.
»Schon gut, Chat.« Kyle lachte verlegen. »Tut mir leid, dass ich so ausgeflippt bin.«
»Shigataganai, Boss«, antwortete Siwula in förmlichem Japanisch, um Kyle wissen zu lassen, dass das schon in Ordnung war. »Aber was machen wir jetzt wegen dieses Heckenschützen?«
»Ah, ja. Nun, wo du es schon mal ansprichst...«
* * *
Das Sichtfeld des elektronischen Zielsuchgeräts zeigte eine seltsame Landschaft aus Schwarzweiß- und Grüntönen. Ein angeschlossener Lichtverstärker machte die Dunkelheit der wolkenverhangenen Nacht zum Tag.
»Irgendwas zu sehen?« Die Stimme in der Dunkelheit war ein kaum hörbares Flüstern.
»Nichts. Vielleicht schlafen noch alle.«
»Hmm. Vielleicht.«
Bill Kyle hob das Elektronikfemglas an die Augen und suchte das Gelände vor ihm ab. Die einzige Bewegung, die er entdeckte, kam aus der Umgebung des Raumhafenhaupttors, wo sich etwa ein Dutzend Demonstranten um ein Feuer in einer rostigen Stahltonne drängten. Knapp innerhalb des drei Meter hohen Sperrzauns ging ein einzelner BattleMech, ein 30-Tonnen Kampffalke, langsam auf und ab. Ansonsten regte sich nichts in der Stille vor Sonnenaufgang.
Kyle senkte das Fernglas, rieb sich die Augen und sah sich zu seinem Begleiter um. Er hatte ganze dreißig Sekunden gebraucht, um Lieutenant Siwula zu überreden, ihn auf diesen befehlswidrigen Einsatz zu begleiten. Nach seinem fehlgeschlagenen Versuch, Colonel Calvin davon zu überzeugen, dass er die Lederstrümpfe autorisierte, die feindlichen Heckenschützen aufzuspüren und auszuschalten, hatte er sich entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
In der Abenddämmerung hatten Siwula und er sich leise aus dem Lager geschlichen und waren an einer abgelegenen Stelle über den Zaun geklettert. Trotz der schweren, sperrigen Tornister auf ihrem Rücken hatten die Kommandosoldaten den drei Meter hohen Maschenzaun und die Stacheldrahtabsperrung an seiner Oberkante mit Leichtigkeit überwunden. Für den Fall, dass sie erwischt und gefangengenommen oder getötet wurden, trug keiner der beiden eine Rüstung oder irgendwelche Einheitsabzeichen, an denen man ihre Zugehörigkeit zur
Weitere Kostenlose Bücher