Baudolino - Eco, U: Baudolino
überhäuft werden. Infolgedessen muss man, um Zosimos wiederzufinden, sich zum Reich des Priesterkönigs aufmachen und ihn unterwegs abfangen. Also los, machen wir uns auf den Weg, fragen wir uns durch, suchen wir nach der Spur eines griechischen Mönches, der schon aus einer Meile Entfernung als solcher zu erkennen ist, lasst mir endlich die Genugtuung, ihn zu erwürgen, und holen wir uns den Gradal zurück.«
»Sehr gut«, sagte Boron, »aber in welche Richtung sollen wir gehen, wo doch nur er die Karte kennt?«
»Freunde«, sagte Baudolino, »hier kommt uns Ardzrouni von neuem zugute. Er kennt die Orte, und außerdem sind wir jetzt nur noch elf, und wir brauchen auf jeden Fall einen zwölften König.«
So wurde Ardzrouni feierlich und zu seiner großen Erleichterung in die Gruppe der zwölf Verwegenenaufgenommen. Über den einzuschlagenden Weg wusste er sehr vernünftige Dinge zu sagen: Wenn das Reich des Priesterkönigs im Osten lag, unweit des Irdischen Paradieses, musste man sich in Richtung der aufgehenden Sonne bewegen. Aber wenn man geradeaus dorthin ging, lief man Gefahr, durch Länder der Ungläubigen zu kommen, er wisse jedoch eine Möglichkeit, zumindest streckenweise durch Länder zu kommen, die von Christenmenschen bewohnt seien – was auch im Hinblick auf die Täuferköpfe erstrebenswert sei, da man sie schlecht an Türken verkaufen könne. Er versicherte, genauso würde auch Zosimos gedacht haben, und nannte eine Reihe von Ländern und Städten, von denen unsere Freunde noch nie gehört hatten. Mit seinem handwerklichen Geschick fabrizierte er eine Art Popanz, der am Ende tatsächlich ein bisschen wie Zosimos aussah, mit langem Haupthaar und langem struppigem Bart aus geschwärzter Mohrenhirse und zwei schwarzen Steinen an Stelle der Augen. Das Gesicht wirkte fanatisch erregt wie der, den es darstellen sollte. »Wir müssen durch Gegenden, in denen man unbekannte Sprachen spricht«, sagte Ardzrouni, »und um die Leute zu fragen, ob sie Zosimos gesehen haben, wird uns nichts anderes übrig bleiben, als dieses Abbild vorzuzeigen.« Baudolino versicherte, mit den unbekannten Sprachen werde es keine Probleme geben, da er, wenn er eine Weile mit den Barbaren gesprochen habe, rasch lerne, so zu sprechen wie sie, aber das Porträt werde trotzdem nützlich sein, denn an manchen Orten würden sie nicht so lange bleiben können, bis er die Sprache erlernt habe.
Bevor sie aufbrachen, gingen sie alle in die Kammer hinunter, um sich jeder einen Täuferkopf zu nehmen. Sie waren zwölf, und die Köpfe waren jetzt nur noch sechs. Baudolino entschied, dass Ardzrouni keinen verdient habe, Solomon würde gewiss keinen Wert darauf legen, mit einer christlichen Reliquie herumzulaufen, der Cuttica, der Ciula, Porcelli und Colandrino waren als letzte hinzugekommen, also würden die sechs Köpfe auf ihn selbst, den Poeten, Abdul, Kyot, Boron und Boidi entfallen. Der Poet wollte gleich nach dem ersten greifen, aber Baudolino erinnerteihn lachend daran, dass doch nun alle gleich waren, nachdem Zosimos den einzigen guten an sich genommen hatte. Der Poet zog errötend die Hand zurück und ließ Abdul wählen. Baudolino begnügte sich mit dem letzten Kopf, und jeder steckte den seinen in sein Reisegepäck.
»Das war alles«, sagte Baudolino zu Niketas. »Gegen Ende Juni Anno Domini 1190 brachen wir auf, zwölf an der Zahl wie die Magier aus dem Morgenland, wenn auch nicht so tugendhaft wie sie, um endlich das Land des Priesters Johannes zu erreichen.«
26. Kapitel
Baudolino und die Reise der Magier
Von nun an erzählte Baudolino seine Geschichte fast pausenlos weiter, nicht nur in den Abend- und Nachtstunden, wenn sie rasteten, sondern auch tagsüber, wenn sie ritten, während die Frauen über die Hitze klagten, die Kinder anhalten mussten, um Pipi zu machen, und die Maultiere alle naselang bockten. Es war also eine stockende Erzählung, stockend wie ihr Ritt, in der Niketas Leerstellen, Brüche, endlose Räume und überaus lange Zeiten erriet. Und das war verständlich, denn die Reise der zwölf hatte, wie aus Baudolinos Erzählung hervorging, mit Verirrungen, eintönigen Wartepausen und leidvollen Umwegen etwa vier Jahre gedauert.
Vielleicht, während sie so reisten unter glühenden Sonnen, die Augen nicht selten verklebt von Sandstürmen, auf immer neue Sprachen hörend, erlebten die Reisenden Augenblicke, in denen sie geradezu fiebrig angespannt waren, und andere, in denen sie schläfrig dösten.
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