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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wiederzufinden.
    Sie erreichten ihn, als nach Solomons Berechnungen der Sabbat gerade vorbei war, und selbst wenn der Fluss zum Stillstand gekommen sein sollte, hatte er doch nun wieder zu strömen begonnen, und sie mussten weitere sechs Tage warten. Unter Ausrufen, die ihnen sicher nicht gerade das Wohlwollen des Himmels einbrachten, beschlossen sie daraufhin, flussabwärts zu suchen, in der Hoffnung, dass der Sambatyon sich am Ende zu einem Mündungstrichter oder Delta öffnen und in eine eher ruhige Wüste verwandeln würde.
    So ritten sie erneut einige Tage von morgens bis abends, zum Teil in größerem Abstand vom Ufer auf der Suche nach weniger unwegsamem Gelände, und der Himmel musste ihre Flüche vergessen haben, denn sie fanden eine kleine Oase mit etwas Grünzeug und eine Quelle, die zwar nur spärlich sprudelte, aber genügte, um ihnen Erfrischung und Vorrat für einige weitere Tage zu spenden. Dann zogen sie weiter, immer begleitet vom Brüllen des Flusses, unter brennenden Himmeln, an denen hin und wiederStreifen schwarzer Wolken erschienen, dünn und flach wie die Steine am Grund des Bubuktar.
    Bis sie schließlich, nach beinahe fünf Tagen Reise durch die glühende Hitze und Nächten, die kaum Abkühlung brachten, den Eindruck hatten, dass der dumpf tosende Dauerlärm jener Flut sich veränderte. Die Strömung wurde schneller, es bildeten sich Strudel und Schnellen, die Basaltbrocken mit sich rissen, als ob es Strohhalme wären, man hörte ein fernes Donnern ... Dann, immer rascher fließend, begann sich der Sambatyon in eine Vielzahl von Flüsschen zu unterteilen, die sich in Berghänge eingruben wie die Finger der Hand in einen Schlammklumpen; manchmal drang eine Welle in eine Höhle ein und kam dann aus einer Art Felsspalte, die begehbar schien, brüllend herausgeschossen, um sich wütend ins Tal zu stürzen. Und plötzlich, nach einem weiten Umweg, den sie hatten nehmen müssen, weil selbst das Ufer durch Geröllstrudel unpassierbar geworden war, sahen sie, als sie auf ein Hochplateau gelangten, wie sich der Sambatyon – unter ihnen – in eine Art Höllenschlund ergoss und verschwand.
    Es waren Katarakte, die aus Dutzenden von amphitheaterförmig angeordneten Felsentraufen in einen gigantischen letzten Strudel stürzten, einen unaufhörlichen Wirbel von Granit, einen Mahlstrom von Bitumen, einen Sog von Alaun, ein Brodeln von Schist, ein Branden von Auripigment an die Ufer. Und über der Materie, die dieser Strudel zum Himmel spie, aber unten für die Augen derer, die auf das Schauspiel hinunterblickten wie hoch oben von einem Turm, erzeugten die Sonnenstrahlen auf den steinernen Tröpfchen einen riesigen Regenbogen, der, da jeder Stein die Strahlen mit einem anderen Glanz entsprechend seiner Natur zurückwarf, sehr viel mehr Farben aufwies als diejenigen, die sich gewöhnlich nach einem Gewitter am Himmel bilden, und im Unterschied zu jenen schien dieser in alle Ewigkeit zu glänzen, ohne sich jemals aufzulösen.
    Es war ein Rotschimmern von Blutstein und Zinnober, ein Schwarzglänzen von Phosphat wie bei atramentiertem Stahl, ein Changieren von Auripigmentpartikeln von Gelb bis zu grellem Orange, ein Blaufunkeln von Armenium, einWeißblinken von kalzinierten Muscheln, ein Grünleuchten von Malachiten, ein Verblassen von Bleioxyd in immer bleicheren Tönen, ein Gleißen von Realgarkristallen, ein Grummeln von gründunkler Erdkrume, die zu Blauspatpulver verblasste und dann zu Nuancen von Indigo und Violett überging, ein Triumph von Musivgold, ein Purpurglühen von gebranntem Bleiweiß, ein Flammen von miniumrotem Sandarak, ein Irisieren von Silbertonerde und eine einzige Transparenz von Alabastern.
    Keine menschliche Stimme konnte sich in diesem donnernden Tosen Gehör verschaffen, aber die Reisenden hatten auch gar kein Verlangen zu reden. Schweigend wohnten sie der Agonie des Sambatyon bei, der sich, wütend über sein Los, ins Innere der Erde ergoss und alles mitzureißen versuchte, was ihn umgab, seine Steine fletschend, um seiner ganzen Ohnmacht Ausdruck zu verleihen.
    Weder Baudolino noch seine Gefährten waren sich bewusst geworden, wie lange sie den heiligen Zorn bewundert hatten, mit dem sich der Fluss in die Eingeweide der Erde stürzte, um sich widerwillig darin zu begraben, aber sie mussten recht lange dort oben gestanden haben, und es musste schon Freitagabend geworden sein, also der Anfang des Sabbat, denn mit einem Mal, wie auf Kommando, erstarrte der steinerne Fluss zu einer

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