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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sein einziges Bein vor- und zurückzubewegen, wie wir es mit zwei Beinen tun, und dabei irgendwie voranzukommen. Die Geschwindigkeit, mit der es sich bewegte, war so groß, dass man die Einzelbewegungen nicht unterscheiden konnte, wie es bei rasch trabenden Pferden vorkommt, bei denen man nie recht weiß, ob es einen Moment gibt, in dem alle vier Füße in der Luft sind, oder ob nicht immer mindestens zwei den Boden berühren.
    Als das Wesen vor ihnen angelangt war, sahen sie, dass sein einziger Fuß etwa doppelt so groß wie der eines Menschen war, aber wohlgeformt, mit quadratischen Zehennägeln und fünf Zehen, die alle breit und kräftig wie große Zehen aussahen.
    Im übrigen war es so groß wie ein Kind von zehn bis zwölf Jahren, reichte ihnen also nur bis zur Hüfte, hatte einen wohlgeformten Kopf mit kurzen gelblichen Strubbelhaaren, zwei runde freundliche Rinderaugen, eine kleine Stupsnase, einen breiten Mund, der bis fast zu den Ohren reichte und der in dem, was zweifellos ein Lächeln war, ein kräftiges schönes Gebiss enthüllte. Baudolino und die Seinen erkannten es sofort, nach allem, was sie darüber gelesen und gehört hatten: Es war ein Skiapode oderSchattenfüßler – und hatten sie nicht solche Wesen auch schon in den Brief des Priesters getan?
    Der Skiapode lächelte immer noch, hob beide Hände über den Kopf und legte sie senkrecht zusammen, was sicher ein Zeichen des Grußes war, und sagte aufrecht wie eine Statue auf seinem einen Fuß stehend mehr oder weniger: »Aleichem sabì, Iani kalà bensor.«
    »Das ist eine Sprache, die ich noch nie gehört habe«, sagte Baudolino. Dann fragte er ihn auf Griechisch: »Was sprichst du für eine Sprache?«
    Der Skiapode antwortete in einem Griechisch sehr eigener Art: »Ich nix wisse, was für Sprache das war. Ich gedacht, ihr Fremde, und gesprochen erfundene Sprache, die so kling wie Sprache von Fremden. Aber ihr spreche Sprache von Presbyter Johannes und sein Diakon. Ich euch grüße, ich Gavagai, steh zu Diensten.«
    Da dieser Gavagai offenbar harmlos, ja freundlich war, stiegen Baudolino und die Seinen ab, setzten sich auf den Boden, luden ihn ein, sich gleichfalls zu setzen, und boten ihm von dem wenigen an, was sie noch hatten. »Nein«, sagte er, »ich euch danke, aber ich viel gegessen heut morgen.« Dann machte er das, was man allen guten Traditionen zufolge von einem Skiapoden erwartet: Er legte sich lang auf den Rücken, hob das Bein so, dass der große Fuß seinem Kopf Schatten spendete, verschränkte die Arme unter dem Kopf und lächelte glücklich, als läge er unter einem Sonnenschirm. »Bisschen Erfrischung gut nach all dem Rennen. Aber sag, wer sinde ihr? Schade, dass ihr nicht zwölf, ihr sonst Heilige Magier, die zurückkomme, sogar Mohr dabei. Schade, dass ihr nur elf.«
    »Ja, schade«, sagte Baudolino. »Aber wir sind elf. Elf Magier interessieren dich nicht, oder?«
    »Elf Magier interessiere niemand. Jeden Morgen in Kirche wir bete für Rückkehr von zwölf. Wenn bloß zurückkomme elf, wir schlecht gebetet.«
    »Die erwarten hier offenbar wirklich die Magier«, flüsterte der Poet zu Baudolino. »Wir müssen eine Möglichkeit finden, sie glauben zu machen, dass der zwölfte hier irgendwo in der Gegend ist.«
    »Aber ohne die Magier selbst zu erwähnen«, flüsterte Baudolino zurück. »Wir sind zwölf, und den Rest können die sich selber zusammenreimen. Sonst kriegt der Priester Johannes am Ende womöglich noch raus, wer wir wirklich sind, und wirft uns seinen weißen Löwen, oder wie immer die heißen, zum Fraß vor.«
    Dann wandte er sich wieder an Gavagai: »Habe ich dich richtig verstanden, du bist ein Diener des Presbyters? Sind wir also im Reich des Priesters Johannes angekommen?«
    »Du warte. Du nicht einfach kann sagen: Ich angekommen in Reich von Presbyter Johannes, nachdem du ein bisschen Weg gegangen. Sonst alle komme. Ihr euch befinde in große Provinz von Diakon Johannes, Sohn von Presbyter, der regier all dies Land. Jeder, der in Reich von Presbyter will, musse hier durch. Alle Besucher, die komme, musse erst warten in Pndapetzim, großer Hauptstadt von Diakon.«
    »Wie viele Besucher sind denn schon gekommen?«
    »Niemand. Ihr die ersten.«
    »Ist wirklich niemand vor uns gekommen, auch kein Mann mit einem schwarzen Bart?« fragte Baudolino.
    »Ich niemand gesehen«, sagte Gavagai. »Ihr die ersten.«
    »Dann müssten wir hierbleiben und auf Zosimos warten«, knurrte der Poet, »und wer weiß, ob er kommt.

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