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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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hob, hielt Baudolino seinem nun schon getrübten Blick den Spiegel der Gymnosophisten hin, in dem der Sterbende vielleicht die Umrisse eines ihm nicht unbekannten Antlitzes sah.
    »O Herrin, ich sehe dich«, sagte er kaum hörbar, »zum ersten und letzten Mal. Ich hatte nicht geglaubt, diese Freude noch zu erleben. Aber ich fürchte, dass du mich liebst, und das könnte meine Leidenschaft stillen ... O nein, Prinzessin, das ist zu viel, warum beugst du dich nieder, ummich zu küssen?« Er näherte seine zitternden Lippen dem Spiegel. »Was empfinde ich jetzt? Leid über das Ende meiner Suche oder Freude über die unverhoffte Eroberung?«
    »Ich liebe dich, Abdul, und das genügt«, hatte Baudolino das Herz, dem sterbenden Freund ins Ohr zu flüstern, und der lächelte. »Ja, du liebst mich, und das genügt. Habe ich das nicht immer gewollt, auch wenn ich den Gedanken daran verdrängte aus Angst, es könnte Wirklichkeit werden? Aber jetzt könnte ich mir nichts weiter wünschen. Wie schön du bist, meine Prinzessin, wie rot deine Lippen sind ...« Er ließ den falschen Täuferschädel auf den Boden rollen, griff mit zitternder Hand nach dem Spiegel und reckte ihm die Lippen entgegen, um die von seinem Atem beschlagene Oberfläche zu berühren. »Heute feiern wir einen fröhlichen Tod, den Tod meines Schmerzes. Oh, süße Herrin, du warst meine Sonne und mein Licht, wo du vorbeigingst, war Frühling, und im Mai warst du die Mondscheibe, die meine Nächte verzauberte.« Er besann sich für einen Augenblick und sagte zitternd: »Aber ist das vielleicht nur ein Traum?«
    »Abdul«, flüsterte Baudolino im Gedenken an Verse, die er einmal von ihm gehört hatte, »was ist das Leben, wenn nicht der Schatten eines flüchtigen Traums?«
    »Danke, meine Geliebte«, sagte Abdul. Er machte eine letzte Anstrengung, während Baudolino seinen Kopf hob, und küsste den Spiegel dreimal. Dann neigte er das nun leblose, wächserne Antlitz im Licht der untergehenden Sonne über der Steinwüste.
    Die Alexandriner hoben ein Grab aus. Baudolino, der Poet, Boron und Kyot, die einen Freund beweinten, mit dem sie seit Jugendjahren alles geteilt hatten, ließen seine sterbliche Hülle in die Erde hinab, legten ihm das Instrument auf die Brust, das nie wieder den Lobpreis der fernen Prinzessin singen würde, und bedeckten sein Antlitz mit dem Spiegel der Gymnosophisten.
    Baudolino las den Schädel und den vergoldeten Schrein auf, dann ging er den Reisesack des toten Freundes holen, in dem er eine Pergamentrolle mit seinen Liedern fand. Erwollte gerade den Schädel des Täufers, den er wieder in seinen Schrein getan hatte, mit hineinpacken, da sagte er sich: »Wenn er ins Paradies kommt, was ich hoffe, braucht er ihn nicht, denn dort wird er dem echten Täufer begegnen, mit Kopf und allem. Und auf jeden Fall lässt man sich dort besser nicht mit einer Reliquie erwischen, die falscher nicht sein könnte. Diesen Kopf werde ich an mich nehmen, und wenn ich ihn eines Tages verkaufen kann, werde ich das Geld benutzen, um dem toten Freund wenn nicht ein Grab, so doch einen schönen Gedenkstein in einer christlichen Kirche errichten zu lassen.« Er schloss den Schrein, versiegelte ihn, so gut es ging, und tat ihn zu seinem eigenen in seinen Reisesack. Für einen Augenblick beschlich ihn der Verdacht, er sei gerade dabei, einen Toten zu bestehlen, aber er kam zu dem Schluss, dass er im Grunde nur etwas als Leihgabe nahm, was er in anderer Form zurückgeben würde. Dennoch zog er es vor, den anderen nichts davon zu sagen. Er packte alles übrige in Abduls Reisesack und legte ihn neben den Toten ins Grab.
    Sie füllten das Grab mit Erde und pflanzten anstelle eines Kreuzes das Schwert des Verstorbenen darauf. Baudolino, der Poet, Boron und Kyot knieten nieder, um ein Gebet zu verrichten, während Solomon etwas abseits einige bei den Juden übliche Litaneien sprach. Die anderen standen ein Stück weiter hinten. Der Boidi hob zu einer kleinen Rede an, aber dann begnügte er sich mit einem lang gezogenen »Hmm ...«.
    »Wenn man bedenkt, dass er vor kurzem noch da war«, murmelte der Porcelli.
    »Heut' sind wir hier und morgen dort«, sagte Aleramo Scaccabarozzi genannt il Ciula.
    »Wer weiß, wieso es gerade ihn treffen musste«, sagte der Cuttica.
    »Das ist eben Schicksal« schloss Colandrino, der, obwohl noch jung, schon sehr weise war.

 
    28. Kapitel
    Baudolino überquert den Sambatyon
     
    »Halleluja!« rief Niketas nach drei Tagen Reise. »Dort

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