Baudolino - Eco, U: Baudolino
ungezeugt ist, seit Anbeginn der Zeiten gezeugt wäre. Infolgedessen sei der Logos, den der Vater zeuge, auf dass er sich um die Erlösung der Menschheit kümmere, nicht von derselben Substanz wie der Vater: Er werde später gezeugt, sicher vor der Erschaffung der Welt und auf höherer Stufe als jede andere Kreatur, aber ebenso sicher auf niedrigerer als der Vater. Der Christus sei gewiss nicht irgendeine Potenz wie die Heuschrecke, er sei vielmehr eine große Potenz, aber er sei erstgeboren und nicht eingeboren.
»Demnach ist für euch der Sohn«, fragte Baudolino, »nur vom Vater adoptiert und folglich nicht Gott?«
»Nein, aber trotzdem Allerheiligster, so wie Allerheiligster Diakon, der ja Adoptivsohn von Priester. Wenn funktioniere mit Priester, warum soll nicht auch funktioniere mit Gott? Ich gehört, dass Poet Blemmys gefragt, warum Jesus, wenn bloß Phantasma, Angst gehabt in Garten Gethsemane und geklagt an Kreuz. Blemmys, die schlecht denke, nicht wisse, was darauf antworten. Richtige Antwort: Jesus nicht Phantasma, sondern Adoptivsohn, und Adoptivsohn kann nicht alles so wissen wie Vater. Du versteh? Sohn nicht homoousios , von gleichem Wesen wie Vater, sondern homoiousios , von ähnlichem Wesen. Wir nicht Häretiker wie Anomöer, die behaupte, dass Logos nicht einmal wesensähnlich dem Vater, sondern ganz anders. Aber zum Glück wir habe hier in Pndapetzim keine Anomöer. Die denke noch schlechter als alle andern.«
Da Baudolino, als er diese Geschichte erzählte, auch gesagt hatte, dass unsere Freunde sich weiter fragten, was es denn für einen Unterschied mache, ob Christus homoousios oder homoiousios sei und ob Gott sich auf zwei kleine Wörter reduzieren lasse, hatte Niketas lächelnd gesagt: »Das macht einen Unterschied, o ja, das macht einen Unterschied! Vielleicht sind diese Streitfragen bei euch im Westen vergessen worden, aber im Reich von uns Römern hat man sie lange diskutiert, und es hat Leute gegeben, die wegen solcher Nuancen exkommuniziert, verbannt oder sogar getötetworden sind. Was mich überrascht, ist, dass diese Diskussionen, die bei uns seit langem unterdrückt worden sind, dort noch weiterleben.«
Und im stillen dachte er: Ich habe immer Zweifel, ob dieser Baudolino mir nicht Lügenmärchen erzählt, aber ein halber Barbar wie er, der unter Alemannen und Langobarden gelebt hat, denen es schwerfällt, zwischen der Heiligen Dreifaltigkeit und Karl dem Großen zu unterscheiden, der könnte diese Dinge nicht wissen, wenn er sie nicht dort gehört hätte. Oder hat er sie vielleicht woanders gehört?
Immer wieder wurden unsere Freunde zu den widerwärtigen Festessen bei Praxeas eingeladen. Ermutigt vom burq , mussten sie dabei wohl gegen Ende des Mahles gelegentlich Dinge gesagt haben, die sich für Magier kaum geziemten, und im übrigen hatte Praxeas inzwischen Vertrauen zu ihnen gefasst. So kam es, dass er eines Abends, als er und sie reichlich getrunken hatten, zu ihnen sagte: »Meine hochgeschätzten Herren Gäste, ich habe lange über jedes Wort nachgedacht, das ihr seid eurer Ankunft hier gesprochen habt, und mir ist klar geworden, dass ihr niemals behauptet habt, die Magier zu sein, die wir erwartet haben. Ich glaube zwar immer noch, dass ihr es seid, aber wenn ihr es zufällig, ich sage zufällig, nicht sein solltet, wäre es nicht eure Schuld, dass alle es glauben. In jedem Fall, erlaubt mir, wie ein Bruder mit euch zu sprechen. Ihr habt gesehen, was für ein Ketzernest Pndapetzim ist und wie schwer es ist, dieses Monsterpack ruhig zu halten, einerseits mit der Angst vor den Weißen Hunnen und andererseits, indem wir uns zu Interpreten des Willens und Wortes jenes Priesters Johannes machen, den sie nie gesehen haben. Was kann da unser junger Diakon helfen, werdet auch ihr euch gefragt haben. Wenn wir Eunuchen jedoch auf die Unterstützung und Autorität der Magier zählen können, vergrößert sich unsere Macht. Sie vergrößert und festigt sich hier, aber sie könnte sich auch ... woandershin ausdehnen.«
»Ins Reich des Priesters?« fragte der Poet.
»Wenn ihr dorthin kämt, müsstet ihr als die legitimen Herren anerkannt werden. Um dorthin zu kommen, brauchtihr uns, und wir brauchen euch hier. Wir sind eine eigenartige Rasse, nicht wie die Monster da draußen, die sich nach den elenden Gesetzen des Fleisches reproduzieren. Eunuch wird man, weil die anderen Eunuchen einen auserwählt und zum Eunuchen gemacht haben. In dem, was viele für ein Unglück halten,
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