Baudolino - Eco, U: Baudolino
Blutes! Tausendmal besser, in der Schlacht zu sterben, den Namen der Geliebten auf den Lippen, als hier in dieser Höhle zu sitzen und zu warten ... auf was? Vielleicht auf nichts ...«
»Aber, edler Herr«, sagte Baudolino, »du bist dazu ausersehen, das Oberhaupt eines großen Reiches zu werden. Eines Tages wirst du – Gott gebe deinem Vater ein langes Leben – diese Höhle verlassen, und Pndapetzim wird nur die letzte und abgelegenste deiner Provinzen sein.«
»Eines Tages, eines Tages ...«, murmelte der Diakon. »Wer garantiert mir das? Weißt du, Baudolino, meine tiefste Befürchtung ist, und Gott vergebe mir diesen Zweifel, der mich zerfrisst, dass es das Reich meines Vaters gar nicht gibt. Wer hat mir von ihm erzählt? Die Eunuchen, seit ich ein kleines Kind war. Zu wem kehren die Boten zurück, die sie – sie , sage ich – zu meinem Vater schicken? Zu ihnen , den Eunuchen. Sind diese Boten wirklich aufgebrochen? Sind sie wirklich zurückgekehrt? Haben sie überhaupt jemals existiert? Ich weiß alles nur von den Eunuchen. Was, wenn alles, diese ganze Provinz, vielleicht die ganze Welt, nur die Frucht eines Komplotts der Eunuchen wäre, die sich über mich lustig machen wie über den letzten Nubier oder Skiapoden? Und wenn auch die Weißen Hunnen nicht existierten? Von allen Menschen wird ein tiefer Glaube an den Schöpfer des Himmels und der Erde und die unergründlichsten Mysterien unserer heiligen Religion erwartet, auch wenn sie unserem Verstand aufs krasseste widersprechen. Aber die Forderung, an diesen unbegreiflichen Gott zu glauben, ist unendlich viel leichter erfüllbar als die an mich gestellte Forderung, allein den Eunuchen zu glauben.«
»Nein, edler Herr, nein, mein Freund«, tröstete ihn Baudolino, »das Reich deines Vaters gibt es wirklich, ich habe es nicht nur von den Eunuchen gehört, sondern schon lange vorher von Leuten, die fest daran glaubten. Der Glaube macht, dass die Dinge wahr werden. Meine Mitbürger hatten an eine neue Stadt geglaubt, an eine, die sogar einem großen Kaiser Angst einzujagen vermochte, und diese Stadt ist entstanden, weil sie so fest an sie glaubten. Das Reich des Priesters ist wahr, weil meine Freunde und ich zwei Drittel unseres Lebens damit verbracht haben, nach ihm zu suchen.«
»Mag sein«, sagte der Diakon, »aber auch wenn es existiert, werde ich es nie zu sehen bekommen.«
»Genug davon!« sagte Baudolino eines Tages. »Du fürchtest, dass das Reich nicht existiert, und während du darauf wartest, es zu sehen, überlässt du dich einem allumfassenden Weltverdruss, der dich töten wird. Im Grunde schuldest du niemandem etwas, weder den Eunuchen noch dem Priester. Sie haben dich gewählt, du warst ein Säugling und konntest sie nicht wählen. Du willst ein Leben in Abenteuer und Ruhm? Wohlan, nimm eines unserer Pferde, reite nach Palästina, wo tapfere Christen gegen die Mauren kämpfen. Werde der Held, der du sein möchtest, die Burgen des Heiligen Landes sind voller Prinzessinnen, die ihr Leben für ein Lächeln von dir geben würden.«
»Hast du jemals mein Lächeln gesehen?« erwiderte der Diakon. Mit einem Ruck riss er sich den Schleier vom Gesicht, und Baudolino erblickte eine gespenstische Maske mit roten Lippen, die faules Zahnfleisch und kariöse Zähne enthüllten. Die Gesichtshaut war runzlig und an manchen Stellen so weit geschwunden, dass man, in einem abstoßenden Rosa, das Fleisch bloßliegen sah. Die Augen glühten unter hängenden und zerfressenen Lidern hervor. Die Stirn war eine einzige Wunde. Das Haar war lang und strähnig, und ein spärlicher zweigeteilter Bart bedeckte das, was ihm vom Kinn noch geblieben war. Er streifte sich die Handschuhe ab, und zum Vorschein kamen knochendürre, mit schwarzen Knötchen übersäte Hände.
»Das ist die Lepra, Baudolino, die Lepra, die wederKönige noch andere Machthaber dieser Erde verschont. Seit meinem zwanzigsten Lebensjahr trage ich dieses Geheimnis in mir, von dem mein Volk nichts ahnt. Ich habe die Eunuchen gebeten, Boten an meinen Vater zu schicken, damit er weiß, dass ich ihm nicht werde auf dem Thron folgen können, und sich beeilt, einen anderen Erben heranzuziehen – sollen sie ruhig sagen, ich sei gestorben, ich werde mich in einer Kolonie meiner Leidensgenossen verbergen, und niemand wird mehr etwas von mir hören. Aber die Eunuchen behaupten, mein Vater wolle, dass ich bleibe. Und das glaube ich ihnen nicht. Den Eunuchen kommt ein schwacher Diakon sehr gelegen, vielleicht
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