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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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musste, der nun Alexios IV. wurde. Mit diesem törichten, unerfahrenen Kind hatten die Lateiner Pakte geschlossen, von denen wir noch nichts wussten: Das Byzantinische Reich sollte zum römisch-katholischen Glauben zurückkehren, der Basileus sollte den Kreuzpilgern zweihunderttausend Silbermark, Lebensmittel für einJahr, zehntausend Ritter zur Eroberung Jerusalems und eine Besatzung von fünfhundert Rittern im Heiligen Land geben. Isaakios stellte fest, dass nicht genug Geld im kaiserlichen Schatz war, und er konnte ja nicht gut hingehen und Klerus und Volk zu erzählen, dass er sich auf einmal dem Papst in Rom unterworfen habe ... So begann eine Farce, die sich über Monate hinzog. Einerseits machten sich Isaakios und sein Sohn, um das nötige Geld zusammenzuraffen, über die Kirchen her und plünderten sie. Die heiligen Ikonen Christi wurden mit Beilen von der Wand geschlagen, ihr Schmuck wurde abgebrochen und eingeschmolzen, die geweihten Geräte wurden aus den Kirchen geschleppt, ins Feuer geworfen und wie gewöhnliches Silber und Gold den Feinden gegeben. Andererseits tummelten sich die Lateiner, die vor Pera ankerten, auch auf dieser Seite des Goldenen Horns, saßen mit Isaakios an der Tafel, spielten sich überall als Herren auf und taten alles, um ihre Abreise zu verzögern. Sie behaupteten, sie warteten nur darauf, voll bezahlt zu werden, und wer am meisten darauf drängte, war der Doge Dandolo mit seinen Venezianern, aber ich glaube, in Wirklichkeit hatten sie hier das Paradies gefunden und lebten selig auf unsere Kosten. Noch nicht zufrieden damit, dass sie die Christen erpressten, und vielleicht zum Ausgleich dafür, dass sie noch nicht mit den Sarazenen in Jerusalem kämpften, gingen einige von ihnen hin und plünderten die Häuser der Sarazenen von Konstantinopel, die dort seit langer Zeit friedlich lebten, und bei dieser Gelegenheit legten sie den Brand, der zur zweiten großen Feuersbrunst führte, in der ich auch das schönste meiner Häuser verlor.«
    »Und die zwei Kaiser protestierten nicht bei ihren Verbündeten?«
    »Sie waren inzwischen nur noch zwei Geiseln in den Händen der Lateiner, die Alexios IV. zum Gegenstand ihres Gespötts gemacht hatten. Einmal, als er in ihrem Lager war, um sich wie ein gewöhnlicher Ritter bei Wein und Würfelspiel zu vergnügen, nahmen sie ihm die goldene Krone vom Kopf und setzten sie sich selber auf. Nie ist ein Basileus von Byzanz so tief gedemütigt worden! Was denalten Isaakios betraf, so verblödete er unter gefräßigen Mönchen, faselte von der Weltherrschaft, die er erringen wolle, und dass er das Augenlicht zurückgewinnen werde ... Bis das Volk sich schließlich erhob und nach einigem Hin und Her den jungen Nikolaos Kanabos zum Basileus wählte. Eine gute Wahl, kein Zweifel, aber der starke Mann war inzwischen Alexios Dukas Murtzuphlos, der von den Anführern des Heeres unterstützt wurde. So war es für ihn ein leichtes, die Macht zu ergreifen. Isaakios starb an gebrochenem Herzen, Murtzuphlos ließ den Kanabos ins Gefängnis werfen, erwürgte eigenhändig Alexios IV. und wurde selbst Alexios V.«
    »Ja, und damit sind wir in jenen Tagen angelangt, als niemand mehr wusste, wer eigentlich das Sagen hatte, ob Isaakios, Alexios, Kanabos, Murtzuphlos oder die Lateiner, und als wir nicht begriffen, wenn einer von Alexios sprach, ob er den dritten, vierten oder fünften meinte. Wir fanden die Genueser noch dort, wo auch du sie kennengelernt hast, während die Häuser der Venezianer und der Pisaner bei der zweiten Feuersbrunst verbrannt waren und sie selbst sich nach Pera zurückgezogen hatten. Und in dieser unglücklichen Stadt, so beschloss der Poet, sollten wir nun unser Glück machen.«
     
    Wenn Anarchie herrscht, so der Poet, kann jeder König werden. Aber erst einmal mussten sie irgendwie Geld auftreiben. Unsere fünf Überlebenden waren abgerissen, verdreckt und bar aller Mittel. Die Genueser nahmen sie gastfreundlich auf, sagten aber, Gäste seien wie Fische, die nach drei Tagen stinken. Der Poet wusch sich gründlich, stutzte sich Haare und Bart, lieh sich von den Gastgebern ein anständiges Gewand und begab sich eines Morgens in die Stadt, um die Lage zu sondieren.
    Am Abend kam er zurück und sagte: »Seit heute ist Murtzuphlos der Basileus, er hat die anderen allesamt ausgeschaltet. Es scheint, dass er die Lateiner provozieren will, um sich bei seinen Untertanen in ein gutes Licht zu setzen, und die Lateiner betrachten ihn als einen Usurpator,

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