Baudolino - Eco, U: Baudolino
dieser Reliquien verrohte Lateiner, die sich in ihren rohen Kirchen versammeln, zu heiligen Gedanken inspirieren. Heilig der Gedanke, heilig die Reliquie. Die Wege des Herrn sind unendlich.«
Eigentlich konnten sie sich nun entspannen und in ihre Heimatländer abreisen. Boron und Kyot hatten keine Ideen mehr, sie hatten es inzwischen aufgegeben, nach dem Gradal zu suchen und mit ihm nach Zosimos. Der Boidi sagte, mit dem verdienten Geld werde er sich in Alexandria ein Weingut kaufen und den Rest seines Lebens als Herr verbringen. Baudolino hatte noch weniger Ideen als die anderen: Die Suche nach dem Reich des Priesters Johannes war beendet, Hypatia war verloren, was bedeutete es ihm da noch, ob er lebte oder starb? Nur der Poet wurde immer noch von Allmachtsphantasien umgetrieben: Er verstreute die Dinge des Herrn in der Welt, er hätte längst anfangen können, einige Stücke nicht bloß untergeordneten Pilgern anzubieten, sondern den Mächtigen, die sie führten, um dafür deren Gunst zu erwerben.
Eines Abends kam er nach Hause und berichtete, in Konstantinopel befinde sich das Mandylion, das Antlitz von Edessa, eine Reliquie von unschätzbarem Wert.
»Was ist denn dieses Mandylion?« fragte Boiamondo.
»Ein kleines Tuch, mit dem man sich das Gesicht abtrocknet«, erklärte der Poet, »und darauf ist das Antlitz des Herrn zu sehen. Nicht gemalt, sondern eingedrückt, durch Naturkraft eingeprägt – ein acheiropoieton , ein nicht von Menschenhand gemachtes Werk. König Abgar V. von Edessa war leprakrank und hatte seinen Archivar Hannanzu Jesus gesandt, um ihn zu bitten, nach Edessa zu kommen und ihn zu heilen. Jesus konnte nicht nach Edessa gehen, und da hat er dieses Tuch genommen, sich damit das Gesicht abgetrocknet und sein Abbild darin hinterlassen. Natürlich ist der König, als er das Tuch bekam, sofort gesund geworden und hat sich zum wahren Glauben bekehrt. Später, als die Perser Edessa belagerten, wurde das Mandylion auf der Stadtmauer gehisst und hat die Stadt gerettet. Dann erwarb es der Kaiser Konstantin und brachte es hierher, und hier war es zuerst in der Blachernenkirche, dann in der Hagia Sophia und dann in der Pharoskapelle. Und es ist wirklich das echte Mandylion, auch wenn behauptet wird, dass es noch andere gebe – im kappadokischen Camulia, im ägyptischen Memphis und in Anablatha bei Jerusalem. Was nicht unmöglich ist, denn schließlich hatte sich Jesus mehrmals im Leben das Gesicht abtrocknen können. Aber dieses hier ist sicher das wundertätigste von allen, denn am Ostertag ändert sich das Antlitz mit den Stunden des Tages: Bei Sonnenaufgang nimmt es die Züge des neugeborenen Jesus an, in der dritten Stunde die des zwölfjährigen Jesus und so weiter, bis es schließlich im Moment der Passion als erwachsener Jesus erscheint.«
»Woher weißt du das alles?« fragte der Boidi.
»Das hat mir ein Mönch erzählt. Nun passt auf, dies ist eine wahrhaftige Reliquie, und mit einem solchen Objekt kann man sich in unseren Ländern hohe Ehren und gute Posten erwerben, man muss nur den richtigen Bischof finden, so wie es Baudolino mit seinen drei Magiern bei Rainald gemacht hat. Bisher haben wir Reliquien verkauft, jetzt ist der Moment gekommen, eine zu erwerben, aber eine, die unser Glück machen wird.«
»Und von wem willst du das Mandylion erwerben?« fragte Baudolino müde, denn er hatte allmählich genug von diesem ganzen Geschacher.
»Es ist bereits von einem Syrer erworben worden, mit dem ich einen Abend gepichelt habe, und der arbeitet für den Herzog von Athen. Aber er hat mir gesagt, dass dieser Herzog das Mandylion und wer weiß was sonst noch alles hergeben würde, um die Sydoines zu kriegen.«
»Und was bitte ist die Sydoines?« fragte der Boidi.
»Das heilige Schweißtuch, auf dem ein Abbild des ganzen Leibes Jesu zu sehen ist. Es heißt, es sei in der Marienkirche der Blachernen gewesen. Man spricht davon in der Stadt, es heißt, König Amalrich von Jerusalem habe es gesehen, als er den Kaiser Manuel Komnenos besuchte. Andere haben mir gesagt, es sei in die Obhut der Marienkirche am Bukoleon gegeben worden. Aber niemand hat es jemals gesehen, und wenn es dort gewesen war, ist es seit langem verschwunden.«
»Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst«, sagte Baudolino. »Jemand hat das Mandylion, einverstanden, und er könnte es gegen diese Sydoines eintauschen, aber du hast die Sydoines nicht, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie wir hier ein
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