Baudolino - Eco, U: Baudolino
und erklärte, dies sei die Gelegenheit, auf die sie gewartet hätten.
Am Morgen gingen sie die Säcke holen, wobei sie so taten, als ob ihnen der Auftrag sehr unangenehm sei, machten dann einen Abstecher in ihren Schlafraum, holten die Waffen und versteckten sie zwischen den Fleischstücken. Als sie zum Käfig kamen, war Gavagai schon da und amüsierte den Wärter-Eunuchen mit Luftsprüngen. Der Rest war leicht, sie schnürten die Säcke auf, holten die Dolche heraus, setzten dem Wärter sechs davon an die Kehle (Solomon stand daneben und sah zu, als ob ihn das Ganze nichts anginge), und Baudolino erklärte ihm, was er tun solle. Zuerst behauptete er, es seien nicht genügend Ledergurte vorhanden, aber als der Poet eine Anspielung auf das Ohrenabschneiden machte, erklärte sich der Eunuch, der von Abschneiden genug hatte, kooperationsbereit. Sieben Vögel wurden dazu hergerichtet, dasGewicht von sieben Menschen zu tragen, beziehungsweise von sechs Menschen und einem Skiapoden. »Ich brauche den stärksten«, sagte der Poet, »denn du« – er wandte sich an den Eunuchen – »kannst leider nicht hierbleiben, weil du sonst Alarm schlagen oder die Vögel zurückrufen würdest. An meiner Hüfte wird ein weiteres Seil befestigt sein, und daran wirst du hängen. Darum muss mein Vogel das Gewicht von zwei Personen tragen.«
Baudolino übersetzte, der Eunuch erklärte sich glücklich, seine Entführer bis ans Ende der Welt begleiten zu dürfen, fragte aber, was danach mit ihm geschehen würde. Sie versicherten ihm, dass er, einmal in Konstantinopel angekommen, seiner Wege gehen könne. »Aber jetzt machen wir schnell«, drängte der Poet, »der Gestank in diesem Käfig ist unerträglich.«
Es dauerte jedoch fast eine Stunde, bis alles so hergerichtet war, wie es sein sollte. Jeder hängte sich, so gut es ging, an seinen Vogel, und der Poet band sich außerdem noch das Seil um den Leib, das den Eunuchen tragen sollte. Der einzige noch nicht Angeschnallte war Gavagai, der an der Ecke eines Korridors aufpasste, dass nicht jemand überraschend kam und alles zunichte machte.
Jemand kam. Einige Wächter hatten sich gewundert, dass die Gefangenen, die zum Füttern der Vögel losgeschickt worden waren, so lange fortblieben. Ein Trupp Kynokephalen erschien besorgt bellend am Ende des Korridors. »Achtung, Hundeköpfe!« rief Gavagai. »Ihr sofort losfliegen!«
»Wir nix sofort losfliegen«, rief Baudolino. »Komm schnell her, wir binden dich noch rechtzeitig an!«
Das stimmte nicht, und Gavagai begriff es. Wenn er wegliefe, würden die Kynokephalen beim Käfig sein, bevor der Eunuch das Gitter öffnen und die Vögel fortfliegen lassen konnte. Er rief den anderen zu, sie sollten den Käfig öffnen und losfliegen. Unter den Waffen, die sie in den Säcken zwischen dem Fleisch versteckt hatten, war auch sein Blasrohr gewesen. Das zog er nun heraus, zusammen mit den drei noch verbliebenen Pfeilen. »Skiapode sterben, aber treu allerheiligsten Magiern«, sagte er. Dann legte ersich auf den Rücken, hob den Fuß über den Kopf, führte sich das Blasrohr an den Mund, blies hinein, und tödlich getroffen brach der erste Hundsköpfige zusammen. Während die anderen zurückwichen, schaffte es Gavagai, noch zwei weitere niederzustrecken, dann hatte er keine Pfeile mehr. Um die Angreifer abzuschrecken, hielt er das Blasrohr weiter an den Mund, als ob er hineinbliese, aber er konnte sie nur kurze Zeit täuschen. Dann fielen die wütenden Bestien über ihn her und durchbohrten ihn mit ihren Schwertern.
Unterdessen hatte der Poet dem Eunuchen seinen Dolch so hart unters Kinn gehalten, dass dieser, als die ersten Blutstropfen kamen, begriff, was von ihm verlangt wurde, und, wiewohl behindert durch seine Fesseln, das Gitter glücklich geöffnet hatte. Als der Poet Gavagai sterben sah, schrie er: »Los, los, er ist hin, nix wie weg!« Der Eunuch gab den Vögeln Roch einen Befehl, sie stürzten sich hinaus und erhoben sich zum Flug. Genau in diesem Moment kamen die Kynokephalen in den Käfig gestürmt, doch ihr Eifer wurde von den verbliebenen Vögeln gebremst, die, erbost über das Durcheinander, sie mit wütenden Schnabelhieben empfingen.
Kurz darauf flogen die sechs Flüchtlinge bereits hoch am Himmel dahin. »Hat er den richtigen Befehl für Konstantinopel gegeben?« schrie der Poet zu Baudolino hinüber, und Baudolino nickte. »Dann brauchen wir ihn nicht mehr«, sagte der Poet, durchtrennte mit einem einzigen Schnitt das Seil, das ihn
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