Baudolino - Eco, U: Baudolino
weil sie ihre Absprachen mit Alexios IV. getroffen hatten –Friede seiner Seele, er war noch so jung, aber wie man sieht, war ihm wirklich nichts Gutes beschieden. Die Lateiner warten darauf, dass Murtzuphlos einen falschen Schritt macht. Fürs erste besaufen sie sich weiter in den Tavernen, aber sie wissen, dass sie ihn früher oder später verjagen und die Stadt plündern werden. Sie wissen schon, welches Gold sie in welchen Kirchen finden werden, sie wissen, dass es in der Stadt jede Menge versteckte Reliquien gibt, aber sie wissen auch, dass man mit Reliquien nicht scherzt und dass ihre Anführer sie für sich haben wollen, um sie in ihre Heimatstädte mitzunehmen. Da jedoch diese Graeculi nicht besser sind als sie selbst, machen die Pilger diesem oder jenem den Hof, um sich schon jetzt und für wenig Geld die besten Reliquien zu sichern. Moral der Geschicht': Wer in dieser Stadt sein Glück machen will, verkauft Reliquien, und wer es nach seiner Rückkehr bei sich zu Hause machen will, kauft sich welche.«
»Also ist der Moment gekommen, unsere Täuferköpfe rauszuholen!« sagte der Boidi hoffnungsvoll.
»Was redest du da für einen Unsinn, Boidi!« sagte der Poet. »Erstens kannst du in einer Stadt höchstens einen Kopf verkaufen, weil es sich dann herumspricht. Zweitens habe ich sagen hören, dass es hier in Konstantinopel schon einen Täuferkopf gibt und vielleicht sogar zwei. Angenommen, sie haben schon zwei gekauft, und wir kommen mit einem dritten, dann schneiden sie uns doch die Kehle durch! Also nix mit Täuferköpfen. Aber nach Reliquien zu suchen ist Zeitverschwendung. Es geht nicht darum, welche zu finden, sondern welche zu machen , und zwar genauso wie die, die es schon gibt, aber die bisher noch niemand aufgetrieben hat. Ich habe mich in der Stadt ein bisschen umgehört, die Leute reden zum Beispiel vom Purpurmantel Christi, von der Rute und der Säule der Geißelung, von dem mit Galle und Essig getränkten Schwamm, der dem sterbenden Jesus ans Kreuz gereicht wurde, nur dass er inzwischen trocken ist, von der Dornenkrone, von einem Kästchen, in dem ein Stück des gewandelten Brotes vom Letzten Abendmahl aufbewahrt wird, von Barthaaren des Gekreuzigten, von seinem nahtlosen Gewand, umdas die Soldaten gewürfelt haben, vom Kleid der Madonna ...«
»Man müsste mal sehen, welche sich am leichtesten nachmachen lassen«, sagte Baudolino gedankenvoll.
»Genau«, sagte der Poet. »Eine Rute findet man überall, an eine Säule wollen wir lieber nicht denken, weil man die nicht gut unterm Tresen verkaufen kann.«
»Aber wieso sollen wir das Risiko mit Duplikaten eingehen? Nachher findet jemand die echte Reliquie, und die, denen wir die falsche verkauft haben, wollen ihr Geld zurück«, sagte Boron sehr vernünftig. »Überlegt doch mal, wie viele Reliquien es geben könnte . Zum Beispiel die zwölf Körbe der wunderbaren Vermehrung der Brote und Fische. Körbe gibt es überall, man muss sie nur ein bisschen dreckig machen, dass sie alt aussehen. Oder die Axt, mit der Noah die Arche gebaut hat, es wird doch wohl noch irgendwo eine alte Axt geben, die unsere Genueser weggeworfen haben, weil sie stumpf geworden ist.«
»Das ist keine schlechte Idee«, erwärmte sich der Boidi. »Geh auf die Friedhöfe und finde den Unterkiefer des Apostels Paulus, nicht den Kopf, sondern den linken Arm Johannes' des Täufers und mehr von der Sorte: die Reste der heiligen Agathe, des heiligen Lazarus, der Propheten Daniel, Samuel und Jesaja, den Schädel der heiligen Helena, ein Stück vom Kopf des Apostels Philippus.«
»Wenn's darum geht«, sagte Pevere mitgerissen von der Idee, »da brauch ich bloß dort unten ein bisschen zu wühlen, und im Nu finde ich euch ein Stück von der Krippe in Bethlehem, ein ganz kleines, bei dem man nicht genau weiß, wo es herkommt.«
»Ja, machen wir nie gesehene Reliquien«, sagte der Poet, »aber machen wir auch die, die es schon gibt, denn von denen reden die Leute, und der Preis steigt täglich.«
Das Haus der Genueser verwandelte sich für eine Woche in eine rührige Werkstatt. Der Boidi stolperte im Sägemehl über einen Nagel vom Heiligen Kreuz, Boiamondo band sich nach einer Nacht voll grässlicher Schmerzen einen Faden um einen kariösen Schneidezahn, zog heftig daran, undschon hatte er einen Zahn der heiligen Agathe, Grillo ließ Brot in der Sonne trocknen und tat Krümel davon in Kästchen aus altem Holz, die Taraburlo soeben gefertigt hatte. Pevere hatte ihnen die
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