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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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mit dem Eunuchen verband, und dieser stürzte ins Leere. »So fliegt sich's besser«, sagte der Poet, »und Gavagai ist gerächt.«
     
    »Wir flogen, Kyrios Niketas, wir flogen hoch über trostlose Ebenen, die nur von den Spuren ausgetrockneter Flüsse durchzogen waren, über bestellte Felder, Seen und Wälder, wobei wir uns an die Füße der Vögel Roch klammerten, denn wir fürchteten, dass die Gurte nicht halten würden. Ich weiß nicht, wie lange wir so flogen, jedenfalls waren unsere Hände bald wund. Unter uns sahen wir Sandwüsten, fruchtbares Land, Wiesen und Bergzüge. Wirflogen unter der Sonne, aber im Schatten der riesigen Flügel, die über unseren Köpfen die Luft schlugen. Wir flogen und flogen, immer weiter, auch bei Nacht und in einer Höhe, die den Engeln sicher verboten war. An einem bestimmten Punkt sahen wir unter uns in einer wüsten Ebene zehn Karawanen – so schien uns – von Menschen (oder waren es Ameisen?), die sich fast parallel voranbewegten, wer weiß wohin. Rabbi Solomon rief, das seien die zehn verstreuten Stämme, die er finden wollte. Er versuchte, seinen Vogel zum Hinuntergehen zu bewegen, indem er ihn an den Füßen zog, versuchte seinen Flug zu lenken, wie man es mit den Leinen eines Segels oder mit einer Ruderpinne macht, aber der Vogel wurde wild, befreite sich aus seinem Griff und hackte nach seinem Kopf. Solomon, mach keinen Unsinn, rief der Boidi, das sind nicht deine Leute, das sind irgendwelche Nomaden, die einfach so umherziehen! Vergebliche Liebesmühe. Von einer mystischen Raserei ergriffen, schlug Solomon derart um sich, dass sein Gurt aufging und er hinunterstürzte, nein, was sage ich, er flog mit ausgebreiteten Armen durch den Himmel wie ein Engel des Allerhöchsten, der immerdar sei der gesegnete Heilige, aber er war ein Engel, der von einem Gelobten Land angezogen wurde. Wir sahen ihn kleiner und kleiner werden, bis sein Bild mit dem der Ameisen dort unten verschmolz.«
     
    Nach einer weiteren Zeit erreichten die Vögel Roch, treu den empfangenen Befehl befolgend, das Weichbild von Konstantinopel, dessen Kuppeln in der Sonne glitzerten. Sie landeten, wo sie landen sollten, und unsere Freunde befreiten sich aus ihren Gurten. Ein Mann, vielleicht der Agent Aloadins, kam ihnen entgegengelaufen, überrascht von der Ankunft so vieler Boten auf einmal. Der Poet lächelte ihn an, zog sein Schwert und schlug ihm mit einem einzigen Hieb den Kopf ab. »Ich segne dich im Namen Aloadins«, sagte er feierlich, während der Mann zusammensackte. »Ksch! Ksch!« machte er dann zu den Vögeln. Sie schienen den Sinn des Befehls zu verstehen, erhoben sich zum Flug und verschwanden am Horizont.
    »Wir sind wieder zu Hause«, sagte der Boidi glücklich, obwohl er noch tausend Meilen von seinem Zuhause entfernt war.
    »Hoffen wir, dass es hier noch irgendwo unsere genuesischen Freunde gibt«, sagte Baudolino. »Gehen wir sie suchen.«
    »Ihr werdet sehen, unsere Täuferköpfe werden uns wieder zugute kommen«, sagte der Poet, der mit einem Schlag verjüngt schien. »Wir sind wieder unter Christen. Wir haben Pndapetzim verloren, aber wir könnten Konstantinopel erobern.«
     
    »Er wusste nicht«, kommentierte Niketas mit einem traurigen Lächeln, »dass schon andere Christen dabei waren, es zu tun.«

 
    37. Kapitel
    Baudolino bereichert die Schätze von Byzanz
     
    »Kaum hatten wir versucht, das Goldene Horn zu überqueren und die Stadt zu betreten, begriffen wir sofort, dass wir uns in der sonderbarsten Situation befanden, die wir je erlebt hatten. Es war keine belagerte Stadt, denn die Feinde waren, obwohl ihre Schiffe noch auf der Reede lagen, in Pera einquartiert, und viele von ihnen gingen in der Stadt umher. Es war aber auch keine eroberte Stadt, denn neben den Invasoren mit dem Kreuz auf der Brust patrouillierten auch die Bewaffneten des Kaisers durch die Straßen. Mit einem Wort, die Kreuzpilger waren in Konstantinopel, aber Konstantinopel gehörte nicht ihnen. Und als wir meine genuesischen Freunde erreichten, dieselben, bei denen auch du gewohnt hast, da konnten auch sie nicht so recht erklären, was geschehen war, noch was womöglich geschehen würde.«
    »Das war auch für uns nicht leicht zu verstehen«, sagte Niketas mit einem resignierten Seufzer. »Und doch werde ich eines Tages die Geschichte dieser Monate schreiben müssen. Nach dem schlimmen Ende der Expedition zur Rückeroberung Jerusalems, die dein Friedrich und die Könige von Frankreich und England versucht

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