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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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der, wie du wusstest, die Kerzen erlöschen und die Tiere ersticken. Friedrich spürte, dass ihm die Luft ausging, er dachte sofort an ein Gift und trank schnell das Gegengift aus dem Gradal. Aber er stürzte zu Boden, ohne sich noch zu rühren. Am nächsten Morgen warst du bereit, dir in der allgemeinen Verwirrung den Gradal zu schnappen, aber Zosimos ist dir zuvorgekommen. Du hast ihn gesehen und hast auch gesehen, wo er den Gradal versteckte. So war es dir ein leichtes, die Köpfe zu vertauschen, und im Moment des Aufbruchs hast du dir den richtigen genommen.«
    Boron war schweißüberströmt. »Poet«, sagte er, »du hast richtig gesehen, ich war in dem Raum mit der Pumpe. Das Streitgespräch mit Ardzrouni hatte mich neugierig gemacht. Ich hatte versucht, sie in Gang zu setzen, aber ich wusste nicht, ich schwöre es dir, ich wusste nicht, auf welches Zimmer sie sich auswirkte. Im übrigen war ich sicher, dass die Pumpe gar nicht funktionieren konnte. Ich habe gespielt, das ist wahr, aber ich habe wirklich nur gespielt, ohne Mordabsichten. Und außerdem, wenn ich so gehandelt hätte, wie du gesagt hast, wie erklärst du dann, dass in Friedrichs Zimmer das Holz im Kamin ganz verbrannt war? Wenn man tatsächlich einen luftleeren Raum erzeugen könnte, um jemanden durch Luftmangel umzubringen, dann würde in dieser Leere kein Feuer brennen ...«
    »Vergiss den Kamin«, sagte die Stimme des Poeten scharf, »dafür gibt es eine andere Erklärung. Mach lieber mal deinen Täuferkopf auf, wenn du so sicher bist, dass er nicht den Gradal enthält.«
    Knurrend, dass ihn auf der Stelle der Blitz erschlagen solle, wenn er je daran gedacht habe, den Gradal zu besitzen, zerbrach Boron das Siegel mit seinem Dolch, und aus dem Schrein rollte ein Schädel zu Boden, ein kleinerer als die bisher gesehenen, vielleicht weil Ardzrouni nicht gezögert hatte, auch Kindergräber zu schänden.
    »Nun gut, du hast den Gradal nicht«, sagte die Stimme des Poeten, »aber das spricht dich nicht frei von dem, was du getan hast. Kommen wir jetzt zu dir, Kyot. Du bistgleich nach Boron hinausgegangen, als brauchtest du ein bisschen frische Luft. Aber du brauchtest anscheinend sehr viel davon, denn du bist bis auf die äußere Mauer gegangen, dorthin, wo die Archimedes-Spiegel standen. Ich bin dir gefolgt, ich habe dich gesehen. Du hast sie berührt, hast den bewegt, der auf kurze Entfernung wirkt, wie Ardzrouni es dir erklärt hatte, und hast ihn in eine Richtung gedreht, die nicht zufällig war, denn du hast es mit großer Sorgfalt getan. Du hast den Spiegel so ausgerichtet, dass er bei Sonnenaufgang die ersten Strahlen genau auf das Fenster von Friedrichs Schlafzimmer konzentrierte. So ist es dann geschehen, und die gebündelten Sonnenstrahlen haben das Holz im Kamin entzündet. Inzwischen war die von Boron erzeugte Leere bereits wieder von neuer Luft verdrängt worden, und die Flammen konnten auflodern. Du wusstest, was Friedrich tun würde, wenn er halb erstickt vom Rauch aus dem Kamin erwachte. Er würde glauben, er sei vergiftet worden, und würde aus dem Gradal trinken. Ich weiß, du hattest selber daraus getrunken an jenem Abend, aber wir haben dich nicht genügend im Auge behalten, als du den Gradal in den Schrein zurückstelltest. Irgendwie hattest du dir auf dem Markt von Kalliupolis Gift besorgt, und davon hast du ein paar Tropfen in den Gradal fallen lassen. Der Plan war perfekt. Nur wusstest du nicht, was Boron gemacht hatte. Friedrich hat dein Gift getrunken, aber nicht, als das Kaminfeuer brannte, sondern lange vorher, als Boron ihm die Luft nahm.«
    »Du bist verrückt, Poet«, rief Kyot, bleich wie ein Toter, »ich weiß nichts vom Gradal, sieh her, jetzt öffne ich meinen Täuferkopf ... Da, siehst du, da ist ein Schädel!«
    »Nun gut, auch du hast den Gradal nicht«, sagte die Stimme des Poeten, »aber du leugnest nicht, die Spiegel bewegt zu haben.«
    »Mir war nicht gut, du hast es gesagt, ich wollte die frische Nachtluft atmen. Ich habe mit den Spiegeln herumgespielt, jawohl, aber der Blitz soll mich treffen, jetzt gleich, wenn ich gewusst hatte, dass sie das Kaminfeuer in jenem Zimmer entzünden würden! Glaub nicht, ich hätte in all diesen Jahren nicht immer wieder an meineUnbesonnenheit gedacht und mich gefragt, ob es nicht meine Schuld war, dass sich das Feuer entzündet hatte, und ob das nicht etwas mit dem Tod des Kaisers zu tun haben könnte. Jahre voll quälender Zweifel. In gewisser Weise hast du mich jetzt

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