Baudolino - Eco, U: Baudolino
geöffnet, um Abdul im Moment seines Todes den Schädel in die Hände zu legen, als Amulett oder etwasdergleichen, und nun liegt er mit Abdul im Grab. Baudolino hat seinen als Gastgeschenk dem Obereunuchen Praxeas gegeben, der hat ihn vor unseren Augen geöffnet, und darin war ein Schädel. Bleiben also noch drei Reliquiare, und das sind eure. Ich weiß inzwischen, wer von euch Dreien den Gradal hat, und ich weiß, dass er es weiß. Ich weiß auch, dass er ihn nicht zufällig hat, sondern weil alles so von ihm geplant war seit dem Moment, da er Friedrich umgebracht hatte. Aber ich will, dass er den Mut aufbringt, es uns selber zu sagen, uns zu gestehen, dass er uns jahrelang getäuscht und betrogen hat. Wenn er es gestanden hat, werde ich ihn töten. Also entscheidet euch. Wer etwas zu sagen hat, sage es jetzt. Wir sind ans Ende unserer Reise gelangt.«
»Hier geschah etwas Außergewöhnliches, Kyrios Niketas. Ich beobachtete die Szene von meinem Versteck aus und versuchte, mich in die Lage meiner drei Freunde zu versetzen. Angenommen, einer von ihnen, nennen wir ihn Ego, wusste, dass er den Gradal besaß und dass er eine Schuld auf sich geladen hatte. Er würde sich gesagt haben, dass es an diesem Punkt das beste war, alles auf eine Karte zu setzen, sein Schwert oder seinen Dolch zu ziehen, sich in die Richtung zu stürzen, aus der er gekommen war, und zu fliehen, bis er die Zisterne und dann das Tageslicht erreicht hatte. Ich glaube, das war es, was der Poet erwartete. Vermutlich wusste er gar nicht, wer von den Dreien den Gradal hatte, aber diese Flucht würde es ihm verraten. Stellen wir uns nun aber vor, dass Ego nicht sicher war, ob er den Gradal besaß, da er nie in seinem Täuferkopf nachgeschaut hatte, aber dass er trotzdem ein schlechtes Gewissen im Zusammenhang mit dem Tod Friedrichs hatte. Also würde Ego abwarten müssen, um zu sehen, ob jemand vor ihm, jemand, der wusste, dass er den Gradal besaß, zur Flucht ansetzte. Ego wartete also und rührte sich nicht. Und da sah er, dass auch keiner der beiden anderen sich rührte. Also hat keiner von ihnen den Gradal, dachte er, und keiner von ihnen glaubt, im mindesten verdächtig zu sein. Infolgedessen – so musste Ego schließen – bin ich es,an den der Poet denkt, und ich muss fliehen. Bestürzt fasste er nach seinem Schwert oder Dolch und setzte zu einem Schritt an. Aber da sah er, dass auch die beiden anderen dasselbe taten. Also blieb er wieder stehen in der Annahme, dass die beiden anderen sich schuldiger fühlten als er ... Genau das war es, Kyrios Niketas, was in jener Krypta geschah. Jeder der drei, jeder offensichtlich so denkend wie der, den ich Ego genannt habe, war zuerst abwartend stehen geblieben, dann hatte er einen Schritt gemacht, und dann war er wieder stehen geblieben. Ein klares Zeichen dafür, dass keiner von ihnen sicher war, den Gradal zu besitzen, aber alle drei sich etwas vorzuwerfen hatten. Der Poet begriff das sehr gut und erklärte den Dreien, was ich begriffen und dir soeben erklärt habe.«
So sprach die Stimme des Poeten: »Elende, alle drei! Jeder von euch weiß, dass er schuldig ist. Ich weiß – ich habe es immer gewusst –, dass ihr alle drei versucht habt, Friedrich zu töten, und vielleicht habt ihr ihn alle drei getötet, so dass der arme Mann dreimal gestorben ist. Ich war in jener Nacht sehr früh hinausgegangen und bin als letzter zurückgekommen. Ich hatte nicht schlafen können, vielleicht hatte ich zu viel getrunken, ich habe dreimal im Hof gepinkelt und bin zwischendurch draußen geblieben, um euch nicht zu stören. Während ich draußen war, hörte ich Boron herauskommen. Er nahm die Treppe zum Erdgeschoss, und ich folgte ihm. Er ging in den Saal mit den Maschinen, trat zu jenem Zylinder, der einen luftleeren Raum produziert, und betätigte mehrere Male den Hebel. Ich verstand nicht recht, was er wollte, aber am nächsten Morgen habe ich es verstanden. Entweder hatte Ardzrouni ihm etwas anvertraut, oder er hatte es von selbst begriffen, aber offenbar war das Zimmer, in dem der Zylinder einen luftleeren Raum produzierte – jenes, in dem das Huhn erstickt war –, genau dasjenige, in dem Friedrich schlief und das Ardzrouni zu benutzen pflegte, um sich Feinde vom Hals zu schaffen, die er heuchlerisch als seine Gäste bewirtete. Du, Boron, hast jenen Hebel betätigt, bis sich im Zimmer des Kaisers eine Leere bildete oder, da du ja nicht an dieLeere glaubst, wenigstens jene dicke und dichte Luft, in
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