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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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drehte.«
    »Nein, nein, was ich sehe, ist keine Insel«, ereiferte sich Boron, »es ist ein Gelobtes Land im fernen Indien, ich sehe dort Menschen mit riesigen Ohren und mit einer doppelten Zunge, so dass sie mit zwei Personen auf einmal reden können ... Und was für reiche Ernten dort sind, es scheint, als wüchse dort alles ganz von allein!«
    »Sicher«, warf Baudolino ein, »schließlich steht im Exodus geschrieben, dass dem Volk Gottes ein Land versprochen war, in dem Milch und Honig fließen.«
    »Werfen wir nicht alles durcheinander«, sagte Abdul, »das im Exodus ist das Gelobte Land, das nach dem Sündenfall kam, während das Irdische Paradies das Land unserer Urahnen vor dem Sündenfall war.«
    »Abdul, wir sind hier nicht in einer disputatio . Es geht nicht darum, den Ort zu identifizieren, zu dem wir hingehen werden, sondern zu begreifen, wie der ideale Ort beschaffen sein müsste, zu dem jeder gern hingehen würde. Und da ist es doch evident: Wenn es solche Wunderdinge wie die genannten nicht nur im Irdischen Paradies gegeben hat, sondern auch heute noch gibt, und zwar auf Inseln, die Adam und Eva nie betreten haben, dann müsste das Reich des Priesters Johannes diesen Orten ziemlich ähnlich sein. Wir versuchen zu begreifen, wie ein Reich des Überflusses und der Tugend beschaffen sein müsste, in dem es keine Lüge, keine Habgier und keine Ausschweifung gibt. Denn warum sollte man sonst danach streben wie nach dem christlichen Reich schlechthin?«
    »Aber ohne zu übertreiben«, mahnte Abdul, »sonst glaubt uns keiner, ich meine, sonst glaubt keiner, dass es möglich ist, so weit in die Ferne zu gehen.«
    Er hatte »in die Ferne« gesagt. Eben noch hatte Baudolino geglaubt, dass Abdul, während er sich das Irdische Paradies vorstellte, wenigstens für einen Abend seineunmögliche Passion vergessen hätte. Aber nein. Er dachte immer daran. Er sah das Paradies vor sich, aber er suchte darin nach seiner Prinzessin. Tatsächlich murmelte er, während allmählich die Wirkung des grünen Honigs nachließ: »Vielleicht werden wir eines Tages hingehen, lanquan li jorn son lonc en mai , wenn lang die Tage sind im Mai ...«
    Boron fing leise an zu lachen.
     
    »Du siehst, Kyrios Niketas«, sagte Baudolino, »wenn ich nicht den Versuchungen dieser Welt erlag, verbrachte ich meine Nächte damit, mir andere Welten vorzustellen. Ein bisschen mit Hilfe des Weins, ein bisschen mit Hilfe des grünen Honigs. Es gibt nichts Besseres, als sich andere Welten vorzustellen«, erklärte er, »um zu vergessen, wie leidvoll die ist, in der wir leben. So jedenfalls dachte ich damals. Ich hatte noch nicht begriffen, dass man, wenn man sich andere Welten vorstellt, am Ende auch diese verändert.«
    »Versuchen wir fürs erste, heiter in dieser zu leben, die Gott uns zugewiesen hat«, sagte Niketas. »Schau, was unsere unvergleichlichen Genueser für Köstlichkeiten der hiesigen Küche bereitet haben. Probier nur einmal von dieser Suppe aus verschiedenen Meeres- und Flussfischen. Vielleicht habt ihr ja auch gute Fische in euren Ländern, obwohl ich mir vorstellen kann, dass sie in eurer beißenden Kälte nicht so gut gedeihen wie hier in der warmen Propontis. Wir würzen die Suppe mit in Olivenöl gerösteten Zwiebeln, Fenchel und anderen Kräutern sowie zwei Bechern trockenen Weines. Du gibst sie auf zwei Scheiben Brot, und du kannst Avgolemonos dazu nehmen, das ist diese Sauce aus Eidotter und Limonensaft mit einem Spritzer Brühe. Ich denke, so müssen Adam und Eva im Irdischen Paradies gespeist haben. Freilich vor dem Sündenfall. Danach haben sie sich wohl eher mit Kutteln begnügt, wie in Paris.«

 
    9. Kapitel
    Baudolino tadelt den Kaiser
    und verführt die Kaiserin
     
    Unterdessen hatte Baudolino, mal mit nicht sehr ernsthaften Studien, mal mit Phantastereien über den Garten Eden, vier Winter in Paris verbracht. Es drängte ihn, Friedrich wiederzusehen und mehr noch Beatrix, die in seiner erhitzten Phantasie mittlerweile alle erdnahen Züge verloren hatte und zu einer Bewohnerin jenes Eden geworden war, fast wie Abduls ferne Prinzessin.
    Eines Tages hatte Rainald den Poeten um eine Ode auf den Kaiser gebeten. Der entsetzte Poet, der nicht mehr aus noch ein wusste und, um Zeit zu gewinnen, seinem Herrn gesagt hatte, er müsse erst noch auf die richtige Inspiration warten, sandte einen Hilferuf an Baudolino. Dieser verfasste ein exzellentes Gedicht, Salve mundi domine , in dem er Friedrich über alle anderen Herrscher

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