Baudolino - Eco, U: Baudolino
der Kaiser ihn nach so langer Zeit wiedersah, machte er Anstalten, ihn zu umarmen, aber Baudolino konnte nicht an sich halten. Er wich zurück, brach in Tränen aus und sagte ihm ins Gesicht, dass er ruchlos sei, dass er nicht behaupten könne, Quell der Gerechtigkeit zu sein, wenn er sich so ungerecht verhalte, und dass er sich schäme, sein Adoptivsohn zu sein.
Jeden anderen, der es gewagt hätte, ihm so etwas ins Gesicht zu sagen, hätte Friedrich nicht nur mit dem Verlustbeider Augen sowie der Nase dafür büßen lassen, sondern auch mit dem Verlust der Ohren. Statt dessen war er betroffen über Baudolinos Zorn und versuchte sich – er, der Kaiser – zu rechtfertigen: »Es war Auflehnung, Baudolino, Auflehnung gegen das Gesetz, und du warst der erste, der mir gesagt hat, ich sei das Gesetz. Ich kann nicht vergeben, ich darf nicht gütig sein. Es ist meine Pflicht, erbarmungslos zu sein. Meinst du, mir macht das Spaß?«
»Und wie dir das Spaß macht, mein Vater! Musstest du all diese Leute töten, damals vor zwei Jahren in Crema, und jetzt diese anderen in Mailand verstümmeln? Und das nicht etwa im Kampf, sondern kaltblütig, aus Starrsinn, aus Rache, wegen einer Beleidigung!«
»Ah, du verfolgst meine Taten, als wärest du Rahewin! Nun denn, so wisse, es war nicht Starrsinn, es war ein Exempel. Es war die einzige Art und Weise, diese ungehorsamen Söhne zu beugen. Meinst du, Caesar und Augustus wären gütiger gewesen? Es ist Krieg, Baudolino, weißt du, was das heißt? Du, der du in Paris den großen Bakkalaureus spielst, weißt du, dass ich dich, wenn du zurückkommst, am Hof unter meinen Ministerialen haben will und dich vielleicht sogar zum Ritter schlagen werde? Meinst du, du kannst mit dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches umherziehen, ohne dir die Hände schmutzig zu machen? Kein Blut kannst du sehen? Dann sag es mir, und ich lasse dich Mönch werden. Aber als Mönch musst du keusch sein, merk dir das, man hat mir Geschichten von dir in Paris erzählt, die gar nicht zu einem Mönch passen wollen. Woher hast du diese Narbe da? Es wundert mich, dass du sie im Gesicht hast und nicht am Hintern!«
»Vielleicht haben dir deine Spione Geschichten von mir in Paris erzählt, aber ich habe überall, ohne Spione zu brauchen, eine schöne Geschichte über dich in Adrianopel gehört. Lieber meine Geschichten mit Pariser Ehemännern als deine mit byzantinischen Mönchen!«
Friedrich erstarrte und wurde bleich. Er wusste sehr gut, wovon Baudolino sprach (der die Sache von Otto gehört hatte). Als er noch Herzog von Schwaben war, hatte er das Kreuz genommen und sich an der zweiten Expedition insHeilige Land beteiligt, um dem christlichen Reich in Jerusalem zu Hilfe zu kommen. Und während das Heer der Christen sich mühsam voranbewegte, war bei Adrianopel einer seiner Ritter, der sich vom Tross entfernt hatte, überfallen und getötet worden, vermutlich von lokalen Banditen. Es hatte schon einige Spannungen zwischen Lateinern und Byzantinern gegeben, und Friedrich nahm den Zwischenfall als jenen letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Wie damals in Crema packte ihn eine rasende Wut: Er griff ein nahe gelegenes Kloster an und metzelte alle Mönche nieder.
Der Vorfall war als dunkler Fleck auf seinem Namen haftengeblieben; alle taten so, als hätten sie ihn vergessen, und sogar Otto verschwieg ihn in seinen Gesta Friderici , um statt dessen gleich darauf zu erwähnen, wie sich der junge Herzog vor einer heftigen Überschwemmung unweit von Konstantinopel zu retten vermochte – ein Zeichen, dass der Himmel ihm seine schützende Hand nicht entzogen hatte. Der einzige, der die Sache nicht vergessen hatte, war Friedrich selbst, und dass die Wunde der bösen Tat nicht verheilt war, bewies nun seine Reaktion. Nachdem er zuerst erbleicht war, wurde er zornrot, ergriff einen bronzenen Leuchter und stürzte sich auf Baudolino, als wollte er ihn erschlagen. Er konnte sich gerade noch im letzten Moment zurückhalten, ließ die Waffe sinken, als er den Jungen schon am Hals gepackt hatte, und fauchte ihn mit zusammengebissenen Zähnen an: »Bei allen Teufeln der Hölle, sag nie wieder, was du da gesagt hast!« Dann verließ er das Zelt. Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal um: »Geh der Kaiserin deine Aufwartung machen, und dann verschwinde wieder zu deinen weibischen Studiengefährten in Paris.«
»Dir werd' ich zeigen, ob ich weibisch bin, dir werd' ich zeigen, wozu ich imstande bin«, knurrte
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