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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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er fühlte sich geistig erregt. Merkwürdigerweise nicht von Beatrix, sondern vom Priester Johannes – so dass er sich fragte, ob der wahre Gegenstand seines Verlangens nicht, mehr als die Dame seines Herzens, jenes unauffindbare Reich war. Und so kam es, dass diebeiden an jenem Abend – Abdul fast wieder frei von der Wirkung des Honigs, Baudolino leicht benebelt – erneut über den Priester zu diskutieren begannen, indem sie sich genau die Frage seiner Existenz stellten. Und da offenbar die Wirkung des grünen Honigs darin bestand, das Niegesehene real und handgreiflich erscheinen zu lassen, entschieden sie sich für die Bejahung der Frage.
    Er existiert, entschied Baudolino, denn es gibt keine Gründe, die gegen seine Existenz sprechen. Er existiert, stimmte Abdul zu, denn er habe von einem Scholaren gehört, dass es jenseits des Landes der Meder und Perser christliche Könige gebe, die mit den Heiden jener Regionen kämpften.
    »Wie heißt dieser Scholar?« fragte Baudolino lallend.
    »Boron«, antwortete Abdul. Und so machten sie sich am nächsten Morgen auf die Suche nach Boron.
    Er war ein fahrender Scholar, der aus Montbéliard stammte, sich zur Zeit in Paris aufhielt (wo er die Bibliothek von Sankt Viktor frequentierte) und schon morgen wer weiß wo sein konnte, denn er verfolgte offenbar ein bestimmtes Projekt, über das er mit niemandem sprach. Er hatte einen großen Strubbelkopf und rote Augen vom vielen Lesen bei Kerzenlicht, aber er schien tatsächlich ein Ausbund von Gelehrsamkeit zu sein. Er faszinierte die beiden gleich bei ihrer ersten Begegnung, natürlich in einer Taverne, indem er ihnen subtilste Fragen vorlegte, über die ihre Magister tagelang disputiert hätten – ob sich Sperma einfrieren ließe, ob eine Prostituierte empfangen könne, ob der Schweiß am Kopf übler rieche als an anderen Körperteilen, ob die Ohren rot würden, wenn man sich schämte, ob ein Mann über den Tod der Geliebten mehr trauere als über ihre Hochzeit mit einem anderen, ob die Adligen hängende Ohren haben müssten und ob die Verrückten bei Vollmond noch verrückter würden. Die Frage, die ihn am meisten beschäftigte, war die nach der Existenz der Leere, ein Thema, in dem er sich besser als jeder andere Philosoph auszukennen behauptete.
    »Die Leere«, dozierte Boron mit schon leicht belegter Zunge, »existiert nicht, weil die Natur sie verabscheut.Dass sie nicht existiert, ist erstens aus philosophischen Gründen evident, denn würde sie existieren, müsste sie entweder Substanz oder Akzidens sein. Körperliche Substanz ist sie nicht, denn sonst wäre sie greifbar und würde Raum füllen, und unkörperliche Substanz ist sie auch nicht, denn sonst wäre sie intelligent, wie die Engel. Aber sie ist auch nicht Akzidens, denn Akzidentia existieren nur als Attribute von Substanzen. Zweitens existiert die Leere nicht aus physischen Gründen: Nimm ein zylindrisches Gefäß ...«
    »Aber wieso«, unterbrach ihn Baudolino, »liegt dir so viel daran zu beweisen, dass die Leere nicht existiert? Was kümmert's dich?«
    »Es kümmert mich, es kümmert mich. Die Leere kann entweder interstitiell sein, das heißt in den Zwischenräumen zwischen Körper und Körper in unserer irdischen Welt existieren, oder sie kann ausgedehnt sein, hinaus über die Ränder des Universums, das wir sehen, nur begrenzt durch die große Kugel der Himmelskörper. Wenn dem so wäre, könnten in jener Leere andere Welten existieren. Doch wenn man beweist, dass die interstitielle Leere nicht existiert, dann kann die ausgedehnte erst recht nicht existieren.«
    »Aber was kümmert's dich, ob es andere Welten gibt?«
    »Es kümmert mich, es kümmert mich. Denn wenn es sie gäbe, hätte Unser Herr Jesus Christus sich in jeder von ihnen für unsere Sünden opfern und in jeder von ihnen Brot und Wein verwandeln müssen. Und folglich wäre der höchste Gegenstand, der Zeugnis und Überrest jenes Wunders ist, nicht einzig und einmalig, sondern es gäbe viele Kopien davon. Und welchen Wert hätte mein Leben, wenn ich nicht wüsste, dass es irgendwo einen höchsten Gegenstand gibt, den es zu finden gilt?«
    »Und was wäre dann dieser höchste Gegenstand?«
    Hier wurde Boron auf einmal sehr wortkarg. »Meine Sache«, sagte er, »das ist nichts für profane Ohren. Aber sprechen wir von etwas anderem: Wenn es viele Welten gäbe, dann gäbe es auch viele erste Menschen, viele Adams und Evas, die viele Male die Ursünde begangen hätten.Und folglich gäbe es viele

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