Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
resigniert und bestellte sich Samoswein. Er bat auch, dass man ihm Sesamkerne in ganz wenig Öl röstete, zum langsamen Kauen zwischen einem Schluck und dem anderen, und dazu wünschte er sich noch Nüsse und Pistazien, um besser der Erzählung zu folgen, in der fortzufahren er Baudolino ermunterte.
     
    Eines Tages wurde der Poet mit einem Auftrag von Rainald nach Paris geschickt, und so nutzte er die Gelegenheit, sich wieder einmal mit Baudolino und Abdul den Tavernenfreuden zu überlassen. Er lernte auch Boron kennen, aber dessen Phantasien über das Irdische Paradies schienen ihn wenig zu interessieren. Die Jahre am Hof hatten ihn verändert, fand Baudolino. Er war härter geworden, er trank zwar immer noch gern, aber er schien aufzupassen, dass es nicht zu reichlich wurde, um wachsam zu bleiben wie jemand, der auf eine Beute lauert.
    »Baudolino«, sagte er eines Tages, »ihr vertut hier eureZeit. Was wir in Paris lernen sollten, haben wir gelernt. Aber alle diese Doktoren würden sich ins Hemd machen, wenn ich morgen zu einer Disputation im großen Aufzug als Ministeriale erschiene, mit dem Schwert an der Seite. Am Hof habe ich vier Dinge gelernt: Wenn du neben großen Männern stehst, wirst du selber groß, die Großen sind in Wirklichkeit ziemlich klein, die Macht ist alles, und es gibt keinen Grund, dass du sie dir nicht eines Tages selber nimmst, zumindest teilweise. Man muss warten können, sicher, aber man darf auch nicht die Gelegenheit verpassen.«
    Er spitzte jedoch sofort die Ohren, als er hörte, dass seine Freunde noch immer vom Priester Johannes sprachen. Als er sie vor bald zwei Jahren in Paris verlassen hatte, schien diese Geschichte noch eine bloße Bücherwurm-Phantasie gewesen zu sein, aber in Mailand hatte er Baudolino zu Rainald darüber reden hören wie über etwas, das zu einem sichtbaren Zeichen der kaiserlichen Macht werden könnte, mindestens so wie die wiedergefundenen Magier. Daher begann ihn die Sache zu interessieren, und er beteiligte sich daran, als konstruierte er eine Kriegsmaschine. Je länger er davon sprach, desto mehr schien es, als verwandelte sich für ihn das Land des Priesters Johannes, gleich dem irdischen Jerusalem, aus einem Wallfahrtsort in ein zu eroberndes Land.
    So erinnerte er die Freunde daran, dass der Priester nach dem Fund der Magier noch viel bedeutender geworden war als vorher, er musste sich nun wirklich als rex et sacerdos präsentieren. Als König der Könige musste er eine Residenz haben, neben welcher die der christlichen Herrscher, einschließlich des Basileus der Schismatiker in Konstantinopel, wie Hundehütten erschienen, und als Priester musste er einen Tempel haben, neben dem die Kirchen des Papstes finstere Löcher wären. Er brauchte einen angemessenen Palast.
    »Das Modell gibt es«, sagte Boron, »es ist das Himmlische Jerusalem, wie es der Apostel Johannes in der Apokalypse gesehen hat. Die Anlage muss von hohen Mauern umgeben sein, mit zwölfToren entsprechend den zwölf Stämmen Israels, drei nach Süden, drei nach Westen, drei nach Osten und drei nach Norden ...«
    »Hui, hui«, alberte der Poet, »und der Priester geht durch das eine rein und durchs andere raus, und wenn's stürmt, schlagen und klappern sie alle gleichzeitig, stell dir bloß mal vor, wie's da ziehen muss, also ich würde in so einem Palast nicht mal tot sein wollen ...«
    »Lass mich weiterreden. Die Grundsteine der Mauern sind aus Jaspis, Saphir, Chalzedon, Smaragd, Sardonyx, Sarder, Chrysolith, Beryll, Topas, Chrysopras, Hyazinth und Amethyst, und die zwölf Tore sind zwölf Perlen, und der Vorplatz ist reines Gold, durchscheinend wie Glas.«
    »Nicht schlecht«, sagte Abdul, »aber ich glaube, das Modell muss eher das des Tempels von Jerusalem sein, wie ihn der Prophet Ezechiel beschrieben hat. Kommt morgen mit in die Abtei. Einer der Kanoniker, der hochgelahrte Richard von Sankt Viktor, ist dort auf der Suche nach einer Möglichkeit, den Plan des Tempels zu rekonstruieren, denn der Text des Propheten ist stellenweise unklar.«
     
    »Kyrios Niketas«, sagte Baudolino, »ich weiß nicht, ob du dich je mit den Maßen des Tempels beschäftigt hast.«
    »Noch nicht.«
    »Tu's nie, man kann dabei den Verstand verlieren. Im ersten Buch der Könige heißt es, der Tempel sei sechzig Ellen lang, zwanzig breit und dreißig hoch, und die Vorhalle sei zwanzig Ellen breit und zehn tief. Im zweiten Buch der Chronik heißt es jedoch, die Vorhalle sei hundertzwanzig Ellen hoch. Mit

Weitere Kostenlose Bücher