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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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»das könnte doch der Moment sein, in dem er Friedrich den Gradal schickt!«
    »Ja, schon«, sagte Baudolino, »aber diese beiden Pfeifenköpfe Boron und Kyot haben uns immer noch nicht gesagt, um was es sich dabei eigentlich handelt.«
    »Sie haben so viele Geschichten gehört, sie haben so viele Dinge gesehen, vielleicht erinnern sie sich nicht mehr an alles. Deswegen hatte ich ja vorgeschlagen, von dem Honig zu nehmen: Der lockert ihnen die Gedanken.«
    Vielleicht hatte er recht, der diktierende Baudolino und der schreibende Abdul konnten sich mit Wein begnügen, aber die Zeugen, oder besser die Quellen der Offenbarung, mussten mit grünem Honig angestachelt werden. So kam es, dass nach wenigen Augenblicken Boron, Kyot (verblüfft über die neuen Gefühle, die ihn überkamen) und der Poet, der an dem Honig inzwischen Gefallen gefunden hatte, sich mit einem selig-blöden Lächeln auf den Boden setzten und wild drauflos phantasierten wie Aloadins Geiseln.
    »Ah! Oh!« rief Kyot aus. »Ich sehe einen großen Saal und Fackeln, die ihn erleuchten mit einem Licht, wie man es sich nie hätte vorstellen können. Und da erscheint ein Knappe mit einer Lanze so weiß, dass sie im Licht des Kaminfeuers schimmert. Und aus der Spitze der Lanze quillt ein Blutstropfen und rinnt den Schaft hinunter bis auf die Hand des Knappen ... Dann kommen zwei weitere Knappen mit vergoldeten Leuchtern, auf denen jeweils mindestens zehn Kerzen brennen. Die Knappen sind wunderschön anzusehen ... Und da, jetzt tritt eine Jungfrau herein, die den Gradal hält, und durch den Saal verbreitet sich ein gleißendes Licht ... die Kerzen verblassen wie der Mond und die Sterne, wenn die Sonne aufgeht. Der Gradal ist aus reinstem Gold, besetzt mit den kostbarsten Edelsteinen, die es zur See und zu Lande gibt ... Und jetzt tritt eine andere Jungfrau herein, die eine silberne Schale trägt ...«
    »Was ist denn nun dieser verdammte Gradal?« rief der Poet.
    »Ich kann ihn nicht sehen, ich sehe nur ein Licht ...«
    »Du siehst nur ein Licht«, sagte Boron, »aber ich sehe mehr. Da sind Fackeln, die den Saal erleuchten, ja, aber jetzt hört man ein Donnern, ein schreckliches Grollen, als wollte der Palast im Boden versinken. Eine große Finsternis bricht herein ... Nein, jetzt erleuchtet ein Sonnenstrahl den Palast siebenmal heller als zuvor. Oh, und da kommt der Heilige Gradal, bedeckt mit einem weißen Samttuch, und den Palast erfüllen die Düfte aller Spezereien der Welt. Und während der Gradal rings um den Tisch getragen wird, füllen sich die Teller vor den Augen der Ritter mit allen nur denkbaren Speisen ...«
    »Aber was zum Teufel ist denn bloß dieser Gradal?« rief der Poet erneut.
    »Nicht fluchen, er ist ein Kelch.«
    »Woher weißt du das, wenn er doch unter einem Samttuch ist?«
    »Ich weiß es eben«, versteifte sich Boron. »Man hat es mir gesagt.«
    »Verflucht sollst du sein in den Jahrhunderten, gemartert werden sollst du von tausend Dämonen! Es scheint, du hättest eine Vision, und dann erzählst du uns, was dir andere sagen, und nicht, was du siehst? Du bist ja schlimmer als dieser blöde Ezechiel, der nicht wusste, was er sah, weil diese Juden nicht Bilder betrachten, sondern angeblich nur auf Stimmen hören!«
    »Ich muss doch bitten, schamloses Lästermaul!« erboste sich Solomon. »Nicht für mich, aber die Bibel ist ein heiliges Buch, auch für euch verabscheuenswerte Gojim!«
    »Beruhige dich, beruhige dich«, sagte Baudolino. »Aber hör mal, Boron. Nehmen wir an, der Gradal ist der Kelch, in dem Unser Herr den Wein verwandelt hat. Wie aber konnte Joseph von Arimathia das Blut des Gekreuzigten darin auffangen, wenn doch der Heiland, als er vom Kreuz abgenommen wurde, schon tot war, und Tote ja, wie du weißt, nicht bluten?«
    »Selbst als Toter konnte Jesus noch Wunder wirken.«
    »Es war kein Kelch«, mischte sich Kyot ein. »Derselbe Mann, der mir die Geschichte mit Feirefiz erzählt hat, hatmir auch verraten, dass der Gradal ein vom Himmel gefallener Stein war, lapis ex coelis , und wenn er ein Kelch war, dann nur, weil er aus diesem Stein geschnitten worden ist.«
    »Und warum soll er nicht die Lanzenspitze gewesen sein, die dem Heiland in die Seite gebohrt hat?« fragte der Poet. »Hast du nicht vorhin gesagt, du hättest einen Knappen in den Saal treten sehen, der eine blutende Lanze trug? Siehst du, und ich sehe nicht einen, sondern drei Knappen mit einer Lanze, aus der Bäche von Blut rinnen ... Und ich sehe einen als

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