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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Bischof gekleideten Mann mit einem Kreuz in der Hand, der auf einem Sessel sitzt, welcher von vier Engeln getragen wird, und die Engel stellen ihn vor dem silbernen Tisch ab, auf dem jetzt die Lanze liegt ... Dann zwei Knaben, die ein Tablett hereintragen, auf dem der abgeschlagene Kopf eines Menschen liegt, blutüberströmt. Und jetzt spricht der Bischof die heilige Formel über der Lanze und hebt die Hostie empor, und in der Hostie erscheint das Bild eines Kindes! Ich sage euch: Die Lanze ist der wundertätige Gegenstand, und sie ist Zeichen der Macht, weil sie Zeichen der Stärke ist!«
    »Nein, aus der Lanze quillt Blut, aber die Tropfen fallen in einen Kelch, zum Beweis des Wunders, von dem ich gesprochen habe«, sagte Boron. »Es ist so einfach ...« Und er begann zu lächeln.
    »Geben wir's auf«, sagte Baudolino resigniert. »Lassen wir den Gradal sein, was er sein mag, und schreiben wir weiter den Brief.«
    »Meine Freunde«, sagte da Rabbi Solomon mit der Distanz dessen, der als Jude nicht sehr beeindruckt war von jener hochheiligen Reliquie. »Diesen Priester Johannes gleich zu Beginn ein so kostbares Geschenk machen zu lassen kommt mir übertrieben vor. Außerdem könnte, wer den Brief liest, Friedrich womöglich bitten, ihm dieses Wunderding zu zeigen. Immerhin können wir ja nicht ausschließen, dass die Geschichten, die Kyot und Boron gehört haben, schon vielerorts zirkulieren, also würde ein Wink genügen, und wer verstehen will, versteht schon. Schreibt lieber nicht Gradal, schreibt auch nicht Kelch, benutzteinen unbestimmteren Ausdruck. Die Torah nennt die erhabensten Dinge nie direkt beim Namen, spricht sie nie im Wortsinn aus, sondern immer nur in einem verborgenen Sinn, den der fromme Leser nach und nach erraten muss, da der Allerhöchste, der Heilige sei immerdar gesegnet, ihn erst am Ende der Zeiten verstanden wissen wollte ...«
    »Gut, sagen wir also«, schlug Baudolino vor, »er schickt ihm einen Schrein, eine Truhe, eine Lade. Sagen wir: accipe istam veram arcam , nimm diese echte Lade entgegen ...«
    »Das ist nicht schlecht«, sagte Rabbi Solomon. »Es ent- und verhüllt zugleich. Es öffnet den Weg zum Strudel der Interpretation.«
    So fuhren sie fort zu schreiben:
     
    Wenn Du in Unser Herrschaftsgebiet kommen willst, machen Wir Dich zum Größten und Würdigsten Unseres Hofes, und Du kannst Dich an Unseren Schätzen erfreuen. Mit diesen, die Wir im Überfluss haben, wirst Du sodann überschüttet werden, wenn Du in Dein Reich zurückkehren willst. Gedenke der Letzten Ziele und sündige hinfort nicht mehr.
     
    Nach dieser frommen Ermahnung ging der Priester dazu über, seine Macht zu beschreiben.
    »Keine Demut«, empfahl Abdul, »der Priester steht so hoch über allem, dass er sich Hochmut erlauben kann.«
    Sehr richtig. Baudolino entledigte sich aller Hemmungen und diktierte. Jener Herr der Herrschenden, dominus dominantium , überragte alle Könige auf Erden an Macht, und seine Reichtümer waren grenzenlos, zweiundsiebzig Könige zahlten ihm Tribut, zweiundsiebzig Provinzen gehorchten ihm, auch wenn sie nicht alle christlich waren – womit Solomon zufriedengestellt war, denn so gehörten auch die verstreuten Stämme Israels zu seinen Untertanen. Seine Herrschaft erstreckte sich über die drei Indien, sein Gebiet reichte von den fernsten Wüsten im Osten bis zum Turm von Babel. Jeden Monat bedienten an seiner Tafel sieben Könige, zweiundsiebzig Herzöge und dreihundertfünfundsechzig Grafen, und jeden Tag speisten an seiner Tafel zwölf Erzbischöfe, zwanzig Bischöfe, der Patriarch desHeiligen Thomas, der Metropolit von Samarkand und der Erzpriester von Susa.
    »Ist das nicht zu viel?« fragte Solomon.
    »Nein, nein«, sagte der Poet, »es geht darum, sowohl den Papst in Rom wie den Kaiser von Byzanz vor Neid zerplatzen zu lassen. Setz noch hinzu, dass der Priester Johannes gelobt hat, mit einem mächtigen Heer das Heilige Grab zu besuchen, um die Feinde Christi niederzuwerfen. Dies nur zur Bestätigung dessen, was Otto gesagt hatte, und um dem Papst das Maul zu stopfen, falls er etwa einwenden sollte, dass es ihm nicht gelungen sei, den Tigris zu überschreiten. Johannes wird es erneut probieren, darum lohnt es sich, ihn aufzusuchen und ein Bündnis mit ihm zu schließen.«
    »Gebt mir jetzt ein paar Ideen, um das Reich zu bevölkern«, sagte Baudolino. »Es müssen dort jede Menge exotische Tiere leben, Elefanten, Kamele, Dromedare, Flusspferde, Krokodile, Panther, Wildesel,

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