Baudolino - Eco, U: Baudolino
Wache – aber er unterdrückte es, um sein Gegenüber nicht zu verletzen, und sagte nur: Sei still, unterbrich den Trotti nicht und lass mich weitererzählen.)
Der Trotti weiter: »Hat der Feind dann den offenen Raum überwunden und dringt in die Straßen ein, dürfen diese nicht gerade und mit dem Senkblei gezogen sein, auch wenn man sich an den alten Römern orientieren will, die eine Stadt wie ein Gitternetz entwarfen. Denn bei einer geraden Straße weiß der Feind immer, was ihn erwartet, und darum müssen die Straßen verwinkelt und kurvenreich sein, voller Ecken oder Ellbogen, nenn's wie du willst. Der Verteidiger wartet hinter der Ecke, sowohl am Boden wie auf den Dächern, und er weiß immer, was der Feind tut, denn auf dem benachbarten Dach – das mit dem ersten einen Winkel bildet – hockt ein anderer Verteidiger, der die Eindringlinge sieht und denen signalisiert, die sie noch nicht sehen können. Der Feind dagegen weiß nie, was ihn erwartet, und darum kann er nur langsam vorgehen. Infolgedessen muss eine gute Stadt lauter schlechtgebaute Häuser haben, die schief und krumm dastehen wie die Zähne einer alten Frau, was zwar hässlich aussieht, aber gerade darin besteht ihre Güte. Und schließlich braucht man noch den falschen Tunnel.«
»Das hast du uns noch nicht gesagt«, warf der Boidi ein.
»Konnt' ich ja nicht, das hat mir gerade erst ein Genueser erzählt, und der hatte es von einem Griechen gehört, es war eine Idee von Belisar, dem General Kaiser Justinians. Was ist das Bestreben eines Belagerers? Tunnel zu graben, die ihn unterirdisch ins Herz der Stadt bringen. Und was ist sein Traum? Einen Tunnel schon fertig vorzufinden, den die Belagerten nicht kennen. Also präparieren wir ihm einen Tunnel, der von außen in die Stadt führt, und verstecken den Eingang unter großen Steinen und Ästen, aber nicht so gut, dass der Feind ihn nicht eines Tages entdeckt. Das andere Ende des Tunnels, innerhalb der Mauern, muss ein enger Schlauch sein, durch den nur ein oder höchstenszwei Männer gleichzeitig gehen können, und er muss mit einem Eisengitter verschlossen sein, damit der erste Kundschafter sagen kann, dass man durch das Gitter auf einen Platz sieht und, was weiß ich, auf die Ecke einer Kapelle, zum Zeichen, dass der Gang direkt in die Stadt führt. Bei dem Gitter steht jedoch eine Wache, und wenn der Feind eintrifft, ist er gezwungen, Mann für Mann einzeln herauszukommen, so dass man ihn Mann für Mann einzeln erledigen kann ...«
»Und der Feind ist so blöd, immer weiter Mann für Mann rauszugehen, ohne zu merken, dass die vordersten wie reife Pflaumen fallen«, gackerte der Boidi.
»Und wer sagt dir, dass der Feind nicht blöd ist? Wart's nur ab. Die Sache muss vielleicht noch besser ausgefeilt werden, aber die Idee ist nicht schlecht.«
Baudolino nahm den Ghini beiseite, der ja als Kaufmann ein vernünftiger Mensch sein und mit beiden Beinen auf dem Boden stehen musste, nicht wie jene Ritter, Lehnsmänner von Lehnsmännern, die sich, bloß um militärischen Ruhm zu erwerben, auch auf von vornherein schon verlorene Sachen einließen. »Hör mal, Ghini, reich nochmal diesen Krug rüber und dann sag mir, was du davon hältst. Mir leuchtet ja ein, dass, wenn man hier eine Stadt erbaut, der Barbarossa gezwungen ist, sie zu belagern, um nicht sein Gesicht zu verlieren, womit er denen von der Liga Zeit gibt, ihn von hinten anzugreifen, wenn er vom Belagern erschöpft ist. Aber die uns in dieses Unternehmen reinziehen sind die Städter. Und du willst, dass ich glaube, unsere Leute verließen die Orte, an denen sie gut oder schlecht gelebt haben, und kämen her, um sich hier umbringen zu lassen, bloß um denen in Pavia einen Gefallen zu tun? Du willst, dass ich glaube, die Genueser, die keinen Heller rausrücken würden, um ihre eigene Mutter von den Sarazenen-Piraten loszukaufen, hätten hier Geld und Arbeit reingesteckt, um eine Stadt zu bauen, die höchstens den Mailändern Vorteile bringt?«
»Baudolino«, sagte der Ghini, »die Geschichte ist noch viel komplizierter, als du meinst. Sieh dir mal genau an, wo wir hier sind.« Er tunkte einen Finger in den Wein undbegann Zeichen auf den Tisch zu malen. »Hier ist Genua, klar? Und hier sind Tortona und Pavia und Mailand. Das sind drei reiche Städte, und Genua ist eine Hafenstadt. Also muss Genua freie Bahn für seinen Handel mit den lombardischen Städten haben, klar? Und die Passstraßen führen durchs Tal der Lemme, durchs Tal der Orba,
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