Baudolino - Eco, U: Baudolino
durchs Tal der Bormida und durchs Tal der Scrivia. Das sind vier Flüsse – habe ich recht? –, und alle vier treffen sich mehr oder weniger hier mit dem Tanaro. Wenn du jetzt hier eine Brücke über den Tanaro hast, dann hast du von hier aus freie Bahn für den Handel mit dem Markgrafen von Montferrat und wer weiß wem noch dahinter. Klar? Nun, solange Genua und Pavia die Sache untereinander ausmachten, war's ihnen ganz recht, dass diese Täler herrenlos blieben, oder sie schlossen von Fall zu Fall Bündnisse, zum Beispiel mit Gavi oder mit Marengo, und die Dinge liefen glatt ... Aber dann ist dieser Kaiser hier aufgekreuzt, Pavia einerseits und der Montferrat andererseits haben sich mit ihm verbündet, Genua sieht sich von rechts und von links blockiert, und wenn es sich auf Friedrichs Seite stellt, kann es seine Geschäfte mit Mailand vergessen. Also müsste es sich mit Tortona und Novi gutstellen, die ihm erlauben, die Täler der Scrivia und der Bormida zu kontrollieren. Aber du weißt, was passiert ist, der Kaiser hat Tortona dem Erdboden gleichgemacht, Pavia hat die Kontrolle des Landes bis zu den Bergen des Apennin übernommen, unsere Dörfer haben sich auf die Seite des Kaisers geschlagen, und bitte, was blieb uns denn anderes übrig? Sollten wir, klein wie wir waren, die großen Helden spielen? Was mussten uns nun die Genueser dafür bieten, dass wir die Seite wechselten? Etwas, das zu besitzen wir uns nie hatten träumen lassen, nämlich: eine richtige Stadt mit Mauern ringsum, mit Konsuln, Soldaten und einem Bischof, eine Stadt, die Wegzölle für Menschen und Waren einnimmt. Du musst dir klarmachen, Baudolino, allein die Kontrolle einer Brücke über den Tanaro bringt einen Haufen Geld ein, du sitzt da und verlangst mal eine Münze, mal zwei Hähnchen, mal einen ganzen Ochsen, und die Betreffenden zahlen, ohne zu feilschen! Eine Stadt ist ein Goldesel, denk nur mal, wiereich die Leute in Tortona waren, verglichen mit uns in der Palea. Und diese Stadt, die uns so gelegen kam, war auch gut für die Liga und gut für Genua, wie ich schon sagte, denn so schwach sie auch sein mag, durch die bloße Tatsache, dass sie da ist, stört sie die Pläne aller anderen und garantiert, dass in dieser Gegend weder Pavia noch der Kaiser, noch der Markgraf von Montferrat sich als Herren aufspielen können.«
»Ja, aber dann kommt der Barbarossa und zertritt euch wie eine Kröte.«
»Wart's ab. Wer sagt das? Hauptsache ist, dass die Stadt dasteht, wenn er kommt. Danach – na, du weißt doch selber, wie's geht: Eine Belagerung kostet Zeit und Geld, also machen wir ihm eine schöne Unterwerfungsgeste, er ist zufrieden, denn für diese Herren ist doch die Ehre das Höchste, und er zieht weiter anderswohin.«
»Aber die Liga und die Genueser haben ihr Geld doch lockergemacht, um hier eine Stadt als Bollwerk zu haben, und nun wollt ihr sie einfach so versetzen?«
»Das hängt ganz davon ab, wann der Barbarossa kommt. Du siehst doch selber, binnen drei Monaten wechseln diese Städte hier ihre Bündnisse, wie's ihnen gerade passt. Warten wir's ab. Vielleicht ist bis dahin die Liga mit dem Kaiser verbündet.« (Und ob du's glaubst oder nicht, Kyrios Niketas, fügte Baudolino hinzu, sechs Jahre später, als die Stadt belagert wurde, waren auf Friedrichs Seite die Genuesischen Steinschleuderer, verstehst du, die Genueser, die so tatkräftig mitgeholfen hatten, sie zu erbauen!)
»Und wenn nicht«, fuhr der Ghini fort, »dann werden wir die Belagerung eben durchstehen, verdammt und zugenäht, auf dieser Welt gibt's nix umsonst. Aber ehe wir weiterreden, komm dir das erstmal ansehen ...«
Er nahm Baudolino bei der Hand und zog ihn aus der Taverne hinaus. Es war inzwischen Abend geworden, und die Luft war kälter als vorher. Sie traten auf einen kleinen Platz, von dem später, wie man erriet, mindestens drei Straßen abgehen sollten, aber fertig waren erst zwei Ecken mit niedrigen, einstöckigen und strohgedeckten Häusern. Erhellt wurde er von Lichtern aus den Fenstern ringsumund einigen Kohlebecken, die von den letzten Verkäufern geschürt wurden, welche lauthals riefen: »Frauen, Frauen, die heilige Nacht bricht an, und ihr wollt doch sicher, dass eure Männer was Gutes auf dem Tisch vorfinden!« An dem, was die dritte Ecke werden sollte, stand ein Scherenschleifer, der seine Klingen kreischen ließ, während er mit der freien Hand den Schleifstein begoss. Weiter hinten an einem Tisch verkaufte eine Frau gebratenen
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