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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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unterschiedlicher Herkunft, dass sie sich gewöhnlich gegenseitig an die Gurgel fahren, sind sie hier alle in Liebe und Eintracht am Werk.«
    Er näherte sich einem Trupp, der gerade dabei war, einem Bau mit gekonnten Griffen ein Dachgebälk aufzusetzen, als handle es sich um eine Abteikirche, wobei die Arbeiter eine große Winde benutzten, die nicht von Menschenhand gedreht wurde, sondern von einem Zugpferd, das aber kein Joch mit einem Halsgurt trug, durch den ihm die Kehle eingeschnürt würde, wie es noch in manchenGegenden üblich war, sondern ein bequemes Kummetjoch, so dass es mit voller Kraft ziehen konnte. Die Arbeiter gaben eindeutig genuesische Laute von sich, und Baudolino sprach sie sofort in ihrer Sprache an, wenn auch nicht so perfekt, dass sie ihn für einen der ihren hielten.
    »Was macht ihr hier Schönes?« fragte er, um ein Gespräch anzuknüpfen. Woraufhin einer von ihnen böse aufblickte und sagte, sie machten eine Maschine, um sich den Pimmel zu kratzen. Alle prusteten los, und da klar war, dass sie über ihn lachten, erwiderte Baudolino (der es schon leid war, den unbewaffneten Händler auf einem Maultier spielen zu müssen, während er im Gepäck, säuberlich eingerollt in eine Decke, sein Schwert als Hofmann hatte) im Dialekt der Frascheta, der ihm nach all den Jahren spontan auf die Lippen kam, er habe keinen Bedarf an machinae , da ihm gewöhnlich der Pimmel, den wohlerzogene Menschen Schwanz nennten, von jenen Huren gekratzt würde, die ihre Mütter seien. Die Genueser verstanden zwar nicht genau, was er sagte, errieten aber die Absicht. Sie ließen ihre Arbeit liegen, griffen sich einen Stein oder einen Knüppel und stellten sich im Halbkreis um das Maultier. Zum Glück näherten sich in diesem Moment andere Leute, darunter einer, der wie ein Ritter aussah, und der sagte zu den Genuesern in einer Mischung aus Latein, Provenzalisch und wer weiß was, der Pilgersmann spreche wie einer aus dieser Gegend und daher sollten sie ihn nicht behandeln, als ob er kein Recht hätte, hier durchzureiten. Die Genueser rechtfertigten sich: er habe Fragen gestellt, als ob er ein Spitzel wäre, woraufhin der Ritter erwiderte, um so besser, wenn der Kaiser nun Spitzel ausschicke, dann erfahre er endlich, dass hier eine Stadt entstehe, extra um ihm Ärger zu machen. Und zu Baudolino sagte er: »Ich habe dich noch nie gesehen, aber du siehst aus wie einer, der heimkehrt. Woher kommst du?«
    »Herr«, antwortete Baudolino höflich, »ich bin in der Frascheta geboren, aber ich war viele Jahre fort und weiß nichts von alledem, was hier geschieht. Ich heiße Baudolino, Sohn des Gagliaudo Aulari ...«
    Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da hob eineraus der Gruppe der Neugekommenen, ein Alter mit weißem Haar und weißem Bart, einen Stock und fing an zu zetern: »Lügner, verdammter, der Blitz soll dich treffen, wie kannst du's wagen, den Namen meines armen Baudolino zu benutzen, meines Sohnes, jawohl, denn ich selbst bin der Gagliaudo Aulari, und vor so vielen Jahren ist er fortgezogen mit einem alemannischen Herrn, der ein großer Herr schien, aber wohl doch bloß ein Gaukler war, der Affen auf den Jahrmärkten tanzen lässt, denn ich hab nie wieder was von meinem Jungen gehört, nach so vielen Jahren kann er nur tot sein, weshalb meine liebe Frau und ich uns seit dreißig Jahren verzehren, denn das ist der größte Schmerz unseres Lebens gewesen, das eh schon schwer genug war, aber einen Sohn zu verlieren, was das bedeutet, weiß nur, wer's selber erfahren hat!«
    Da konnte Baudolino nicht länger an sich halten und rief: »Vater, mein Vater, du bist es wirklich!« und die Stimme versagte ihm fast und Tränen sprangen ihm in die Augen, aber es waren Tränen, die eine große Freude verrieten. Dann fügte er hinzu: »Aber es sind keine dreißig Jahre gewesen, die ihr gelitten habt, ich bin erst vor dreizehn Jahren fortgegangen, und du solltest froh sein, dass aus mir was geworden ist.« Der Alte trat zu dem Maultier, sah Baudolino ins Gesicht und sagte: »Auch du bist es wirklich! Wären auch dreißig Jahre vergangen, diesen dussligen Blick hast du nicht verloren, aber weißt du, was ich dir sage? Du magst vielleicht jemand geworden sein, aber deinem Vater unrecht geben, das darfst du nicht. Wenn ich dreißig Jahre gesagt habe, dann weil es mir vorgekommen ist wie dreißig Jahre, und in dreißig Jahren hättest du auch mal was von dir hören lassen können, Unglücksmensch, nichtsnutziger, jawohl, das bist

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