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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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die Longinus dem Gekreuzigten in die Seite gestochen habe. Ja genau, das scheine ihm auch so, pflichtete Zosimos bei. An diesem Punkt gab ihm Baudolino eine Ohrfeige, obschon es noch nicht Zeit zum Schlafengehen war, aber Zosimos rechtfertigte sich: Die Gerüchte seien ungewiß, zugegeben, aber daß sie auch bei den Galatern von Byzanz umgingen, teilweise, daß es diesen Gradal wirklich gebe. Im übrigen wisse man vom Gradal am Ende
    immer dasselbe, nämlich das man ziemlich wenig von ihm
    wisse.
    »Sicher«, sagte Baudolino, »wenn ich Friedrich den Gradal
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    bringen könnte, statt so einen Galgenstrick wie dich.«
    »Du kannst ihn ihm immer noch bringen«, regte Zosimos an.
    »Finde den passenden Topf...«
    »Aha, jetzt ist er also auch ein Topf! Paß auf, daß ich dich nicht in diesem Topf koche! Ich bin doch kein Fälscher wie du!«
    Zosimos zuckte die Achseln und strich sich übers Kinn, wo er den nachwachsenden Bart fühlte, der fast nun struppig wie ein Katzenfisch war und nicht mehr schön anzusehen wie einst, als er seidig und sauber glänzte wie eine Paella.
    »Und außerdem«, knurrte Baudolino, »auch wenn man weiß, daß er ein Topf oder Kelch ist, woran erkennt man ihn, wenn man ihn findet?«
    »Ah, da sei nur ganz ruhig«, warf Kyot ein, den Blick
    verträumt in die Welt seiner Sagen gerichtet, »du wirst das Licht sehen, du wirst den Wohlgeruch bemerken...«
    »Hoffen wir's«, sagte Baudolino. Rabbi Solomon schüttelte den Kopf: »Es muß etwas sein, was ihr Gojim aus dem Tempel zu Jerusalem geraubt habt, als ihr ihn damals geplündert und uns in die Welt zerstreut habt.«
    Sie kamen gerade rechtzeitig zur Hochzeit von Heinrich dem zweiten Sohn Friedrichs, der inzwischen zum König der Römer gekrönt worden war, mit Konstanze von Sizilien. Der Kaiser setzte jetzt alle Hoffnungen auf seinen jüngeren Sohn. Nicht daß er den Erstgeborenen nicht geliebt hätte, im Gegenteil, er hatte ihn sogar zum Herzog von Schwaben ernannt, aber seine Liebe zu ihm war unverkennbar von Trauer beherrscht, wie es bei schlecht geratenen Kindern vorkommt. Baudolino sah den
    jungen Friedrich bleich, hustend und ständig mit dem linken Augenlid zuckend, wie um eine Fliege zu vertreiben. Auch während jener prächtigen Festlichkeiten entfernte er sich häufig, und Baudolino sah ihn übers Feld gehen, nervös die Sträucher
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    mit einer Reitgerte peitschend, wie um etwas zu beruhigen, was ihn von innen zerfraß.
    »Das Leben fällt ihm schwer«, sagte Friedrich eines Abends zu Baudolino. Der Kaiser alterte immer mehr, der gute
    Barbabianca, und er bewegte sich, als hätte er einen steifen Hals.
    Er ging noch immer auf die Jagd, und wenn er einen Fluß sah, stürzte er sich hinein und schwamm wie in seinen besten Zeiten.
    Aber Baudolino fürchtete, daß er eines Tages durch die
    plötzliche Kälte des Wassers einen Schlaganfall kriegen könnte, und sagte ihm ständig, er solle sich vorsehen.
    Um ihn aufzuheitern, erzählte er ihm von den Erfolgen ihrer Expedition - daß sie den treulosen Mönch gefangen hatten, daß sie bald die Karte haben würden, die sie ins Reich des Priesters Johannes führen würde, daß der Gradal kein Märchen sei und daß er ihn eines Tages in seine Hände legen würde. Friedrich nickte. »Der Gradal, ach ja, der Gradal«, murmelte er mit abwesendem Blick, »mit dem könnte ich gewiß...« Dann wurde er durch eine wichtige Nachricht abgelenkt, seufzte noch einmal auf und ging ächzend daran, seine Pflicht zu tun.
    Hin und wieder nahm er Baudolino beiseite und schilderte ihm, wie sehr ihm Beatrix fehle. Um ihn zu trösten, schilderte ihm dann Baudolino, wie sehr ihm Colandrina fehle. »Oh, ich weiß«, sagte dann Friedrich, »du, der du Colandrina geliebt hast, du kannst verstehen, wie sehr ich Beatrix geliebt habe. Aber vielleicht ist dir nicht richtig bewußt, wie liebenswert sie tatsächlich war.« Und Baudolino verspürte wieder die alten Gewissensbisse.
    Im Sommer kehrte der Kaiser nach Deutschland zurück, aber Baudolino konnte nicht mitgehen. Er hatte die Nachricht erhalten, daß seine Mutter gestorben war. Er war sofort nach Alexandria aufgebrochen, und auf dem Weg dorthin dachte er an die Frau, die ihn zur Welt gebracht hatte und der gegenüber er nie eine echte Zärtlichkeit an den Tag gelegt hatte, außer in
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    jener Weihnachtsnacht vor vielen Jahren, als das Lämmchen zur Welt kam (Donnerwetter, sagte er sich, mehr als fünfzehn Winter ist das schon her, mein Gott, vielleicht

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