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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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daß sie doch in der Frascheta gewöhnt waren, im dichtesten Nebel zu gehen, den man fast mit dem Messer zerschneiden mußte, was noch schlimmer war, als im tiefsten Dunkel zu gehen, denn in jenem Grau konnte man, als Täuschung der ermüdeten Augen, Gestalten auftauchen sehen, die es auf dieser Welt nicht gab, so daß man auch dort haltmachen mußte, wo man noch hätte weitergehen können, denn wenn man der
    Täuschung erlag, verirrte man sich und stürzte in einen Graben.
    »Und wie gehst du im Nebel bei uns zu Hause«, sagte er, »wenn nicht nach dem Gefühl, nach dem Instinkt, nach Gehör und Tastsinn, wie es die Fledermäuse tun, die blind wie sonstwas sind? Du kannst nicht mal deinem Geruchssinn folgen, denn der Nebel steigt dir in die Nase, und das einzige, was du riechst, ist sein Nebelgeruch! Also«, schloß der Porcelli, »wenn du ans Gehen im Nebel gewöhnt bist, dann ist das Gehen in tiefster Dunkelheit wie ein Gehen am hellichten Tag.«
    Die übrigen Alexandriner stimmten zu, und so war es nun an Baudolino und seinen fünf Jugendfreunden, die Truppe
    anzuführen, während die anderen sich jeder an eines ihrer Pferde banden und ihnen gottergeben folgten.
    Anfangs ging es noch voran, daß es eine Freude war, denn sie kamen sich tatsächlich vor wie im Nebel bei sich zu Hause, aber nach einigen Stunden wurde es wirklich stockdunkel. Die Anführer spitzten die Ohren, um das Knacken von Zweigen zu
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    hören, und wenn es nicht mehr zu hören war, schlossen sie daraus, daß sie auf eine Lichtung gelangt waren. Die Bewohner des Dorfes am Rand der Ebene hatten ihnen gesagt, daß dort immer eine kräftige Brise von Süden nach Norden wehte, und so hielt Baudolino von Zeit zu Zeit einen feuchten Finger in die Luft, um zu prüfen, woher der Wind kam, und sich dann nach Osten zu wenden.
    Wann es Nacht wurde, merkten sie daran, daß die Luft kühler wurde, und dann hielten sie an, um zu rasten - eine sinnlose Entscheidung, meinte der Poet, denn unter solchen Umständen könne man ebensogut auch am Tage rasten. Doch Ardzrouni wies darauf hin, daß man, wenn es kühl wurde, keine Geräusche von Tieren mehr hörte, die sich jedoch beim ersten wärmenden Lüftchen wieder einstellten, besonders der Vogelgesang, was darauf hindeute, daß alle Lebewesen in Abkasia den Tag nach dem Näherkommen von Kälte und Wärme bemaßen, als wäre es das Erscheinen des Mondes oder der Sonne.
    Lange bemerkten sie keinerlei Anwesenheit von Menschen.
    Als ihre Vorräte aufgezehrt waren, streckten sie die Hände aus, bis sie an die Zweige eines Baumes stießen, und tasteten sie Zweig für Zweig ab, manchmal stundenlang, bis sie auf eine Frucht stießen, die sie dann freudig aßen in der Hoffnung, daß sie nicht giftig war. Oft war der lockende Duft irgendeines pflanzlichen Wunders das Ausschlaggebende für Baudolino (der die feinste Nase von allen hatte), um zu entscheiden, ob sie geradeaus weiterreiten oder nach rechts oder links abbiegen sollten. Mit der Zeit wurden sie immer feinfühliger und geschickter. Aleramo Scaccabarozzi genannt il Ciula hatte einen Bogen, den er schußbereit hielt, bis er vor sich das Schnattern eines weniger flinken Vogels hörte, der vielleicht weniger flugfähig war, so wie bei uns die Hühner. Er schoß den Pfeil ab.
    und in den meisten Fällen gelang es ihnen, geleitet von einem Todesschrei oder einem moribunden Flügelgeflatter, die Beute
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    zu packen, die sie dann rupften und über einem Feuer aus Zweigen brieten. Das Verblüffendste war, daß sie durch
    Aneinanderreihen von Steinen das Holz entzünden konnten - die Flamme erhob sich rot, wie es sich gehörte aber sie erhellte nichts, nicht einmal die Gesichter derer, die sie umringten, und sie brach genau an der Stelle ab, wo der zu bratende Vogel, auf einen Zweig gespießt, in sie hineingehalten wurde.
    Wasser zu finden war nicht schwer, denn oft genug hörten sie das Plätschern einer Quelle oder eines Baches. Insgesamt kamen sie jedoch nur sehr langsam voran, und einmal mußten sie feststellen, daß sie nach zwei Tagen an dieselbe Stelle zurückgekehrt waren, von der sie sich aufgemacht hatten, denn als sie an einem kleinen Wasserlauf tastend die Gegend
    erkundeten, stießen sie auf die Spurer ihres früheren Lagers.
    Schließlich aber bemerkten sie die Anwesenheit der
    Abkasianer. Zuerst hörten sie Stimmen, ein Wispern und Tu schein, das sie rings umgab, und es waren erregte Stimmen wenngleich sehr leise, als zeigten die Bewohner des Walde;

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