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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Er drückte ihm zur Bekräftigung eine Münze in die Hand, und der Preis des Schweigens war so lächerlich, daß der Spitzel wenn nicht aus Treue zu Ditpold, so zumindest aus Rache sofort loslaufen und ihm alles erzählen würde.
    Man kann sich leicht vorstellen, was dann geschah. In der Annahme, daß Baudolino die Entdeckung geheimhalten wolle,
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    um seinen belagerten Freunden nicht zu schaden, eilte Ditpold zum Kaiser, um ihm zu sagen, daß sein geliebter Adoptivsohn einen Geheimgang in die Stadt entdeckt habe, aber sich hüte, es zu sagen. Der Kaiser hob die Augen zum Himmel, als wollte er sich für den gesegneten Warner bedanken, dann sagte er zu Ditpold: »Also gut, ich biete dir an, berühmt zu werden. Gegen Abend stelle ich dir ein gutes Kontingent Sturmtruppen direkt vors Tor, ich lasse ein paar Schildkröten bei dem Dickicht postieren, damit es fast dunkel ist und nicht auffällt, wenn du mit deinen Leuten in den Tunnel steigst, ihr dringt in die Stadt ein, öffnet das Tor von innen, und von einem Tag auf den anderen bist du ein Held geworden.«
    Der Bischof von Speyer erhob sogleich Anspruch auf das
    Kommando über die Truppe vor dem Tor, denn Ditpold sei für ihn, sagte er, wie ein Sohn, und das können wir uns denken.
    Als Trotti am Nachmittag des Karfreitags sah, daß die
    Kaiserlichen sich vor dem Tor versammelten, und das, während es schon dunkelte, begriff er, daß es sich um eine Finte handelte, mit der die Aufmerksamkeit der Belagerten abgelenkt werden sollte, und daß der Schlaukopf Baudolino dahinterstecken mußte. Daher beeilte er sich, nachdem er die Sache allein mit dem Guasco, dem Boidi und Oberto del Foro besprochen hatte, einen glaubwürdigen Sankt Peter herbeizuschaffen, und dazu bot sich einer der ältesten Konsuln an, Rodolfo Nebia, der das richtige Aussehe hatte. Sie verloren lediglich eine halbe Stunde mit der Diskussion über die Frage, ob der Heilige das Kreuz oder die berühmten Schlüssel in der Hand halten sollte, aber dann entschieden sie sich für das Kreuz, weil es im Dämmerlicht besser zu sehen sein würde.
    Baudolino wartete nicht weit vom Tor entfernt. Er war sicher, daß es keinen Kampf geben würde, denn vorher würde jemand aus dem Tunnel herauskommen, um die Neuigkeit von der
    himmlischen Hilfe zu überbringen. Und tatsächlich, nach der
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    Zeit, in der man drei Paternoster samt Ave und Gloria sprechen konnte, vernahm man aus der Innern der Stadt einen großen Lärm, und eine übernatürlich klingende Stimme rief: »Zu den Waffen, zu den Waffen meine getreuen Alexandriner!«, und ein Gewirr von irdischen Stimmen schrie durcheinander: »Das ist Sankt Peter oh, oh, ein Wunder, ein Wunder!«
    Aber genau da ging etwas schief. Wie Baudolino späte erfuhr, hatten sie Ditpold und die Seinen prompt ergriffen und dann alles getan, um sie zu überzeugen, daß ihnen Sankt Peter erschienen sei. Vermutlich wären auch alle das auf
    hereingefallen, nur nicht Ditpold, der ja wußte, auf welchem Wege die Nachricht von der Entdeckung de Tunnels zu ihm gelangt war und dem nun - dumm war er schon, aber so dumm nun auch wieder nicht - der Verdacht kam, er könnte von Baudolino genarrt worden seit So hatte er sich mit einem Ruck aus dem Griff seiner Häscher befreit, war in eine enge Gasse geschlüpft und hatte so laut zu brüllen begonnen, daß keiner verstand in welcher Sprache er brüllte, und alle ihn im Zwielicht für einen der Ihren hielten. Doch als er dann auf der Mauer stand, war es klar, daß er sich an die Belagerer wandte, um sie vor einer Falle zu warnen - wobei man nicht recht verstand, wovor er sie schützen wollte, da die draußen Wartenden ja, wenn das Tor nicht aufging, nicht hineinkommen würden und folglich auch nichts riskierten. Aber gleichviel, gerade weil er dumm war, hatte dieser Ditpold Courage, er stand auf der Mauerkrone, schwenkte sein Schwert und forderte alle
    Alexandriner heraus. Welche selbst - wie es die Regeln einer Belagerung verlangen - nicht zulassen konnten, daß ein Feind die Mauer erreichte, mochte er auch von innen kommen; zudem waren nur wenige über die List informiert, und die anderen sahen plötzlich einen Deutschen mitten unter sich, als ob nichts wäre. So daß einer von ihnen es für gut hielt, Ditpold eine Pike in den Rücken zu rammen und ihn über die Mauerkrone zu
    werfen.
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    Als der Bischof von Speyer seinen vielgeliebten Gefährten leblos zu Füßen des Torturms stürzen sah, geriet er außer sich und befahl den Angriff.

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